Die Welt driftet in eine neue Ära der verschärften geopolitischen Konfrontationen. Der Krieg Putins gegen die Ukraine mit unzähligen Toten und unvorstellbarer Zerstörung , das hinterhältige Massaker der Hamas an israelischen Zivilistinnen und Zivilisten, als Reaktion darauf die unbeschreiblichen Verwüstungen in Gaza durch israelische Bomben, Donald Trumps Schwenk in der Bündnispolitik und seine vom Zaun gebrochenen neuen Handelskriege, nicht zuletzt die Aufrüstungspläne der Europäischen Union als eine Folge der neuen geopolitischen Lage – all das verschärft die Konfrontationsdynamik. Medienschlagzeilen wie „Wettrüsten: Zeichen stehen auf EU-Atombombe“ (Kronenzeitung) oder „Wer kämpft im Ernstfall für Österreich“ (Salzburger Nachrichten) suggerieren auch hierzulande eine Vorkriegsstimmung. Jenseits der zahlreichen Hinweise, dass uns das Ankurbeln der Rüstungsindustrie aus der Wirtschaftsflaute manövrieren könnte: „Europas Rüstungsindustrie im Höhenflug“, „EU-Aufrüstung: Wie Österreich profitiert.“ (beide Schlagzeilen ORF)

Krieg zur Absicherung eigener Interessen war nie abgeschafft, er scheint aber wieder stärker als geopolitisches Instrument rehabilitiert zu werden. Über all dem schwebt der mögliche Hegemonieverlust des Westens gegenüber der wirtschaftlich und militärisch aufstrebenden neuen Supermacht China. Mehrere Bücher warnen vor diesem neuen Konfrontationskurs. Der Philosoph Richard David Precht fordert ein „Jahrhundert der Toleranz“ und damit ein Abgehen vom westlichen Überlegenheitsgestus.

Die Historiker Peter Heather und John Rapley argumentieren in ihrer Studie Stürzende Imperien davor, dass es dem Westen ergehen könnte wie dem untergegangenen Römischen Imperium, wenn es nicht gelinge, kooperative Strukturen aufzubauen und die steigende Überschuldung der Staatshaushalte, also das Leben auf Pump, zu überwinden. Das römische Reich ist maßgeblich durch seine militärische und ökonomische Überdehnung zugrunde gegangen. Der Aufstieg einer gleichrangigen konkurrierenden Supermacht in Gestalt Chinas sei ebenso unabänderlich wie die Entstehung einer Reihe neuer mächtiger Akteure in der alten imperialen Peripherie, so Heather und Rapley. Gemeint sind dabei etwa Indien, Brasilien oder das neue Südafrika. Der Zusammenbruch des Westen sei umkehrbar, so die beiden, „solange er akzeptiert, dass er nicht versuchen kann (und auch nicht versuchen sollte), die alte koloniale Weltordnung wiederherzustellen“ (S. 249). Nötig sei eine neue „postimperiale Weltordnung“. Innenpolitisch gehe es darum, eine „viel ehrlichere Debatte über die Notwendigkeit von Zuwanderung“ zu führen (ebd.), außenpolitisch um mehr Demut und Zurückhaltung. Es werde nötig sein, „die neuen aufstrebenden Mächte, die ein bedeutendes kulturelles und institutionelles Erbe mit den alten Weltmächten teilen, sehr viel verständnisvoller und gleichberechtigter zu behandeln, wenn es eine echte Chance auf eine neue Koalition geben soll, die mächtig genug ist, um China auf Augenhöhe zu begegnen.“ (S. 250)

Zweifel am Ansatz der Hegemoniekonflikte als Kriegsgrund

Die Ansicht, dass die Konkurrenz um die Weltführerschaft sowie Phasen einer Ablösung einer vorherrschenden Macht durch eine andere die Wahrscheinlichkeit von Kriegen erhöhe, ist weit verbreitet. Demnach würde die Welt auf eine neue militärische Konfrontation zwischen den USA als absteigende und China als aufstrebende Weltmacht zulaufen. Trumps neue Bündnispolitik der Abwendung von der EU sowie der Zuwendung hin zu Russland wird als Strategie gedeutet, den Rücken für die Auseinandersetzung mit China freizubekommen.

Die westliche Medien seien regelrecht besessen von der Idee eines möglichen Krieges zwischen den USA und China und es gäbe auch ähnliche Wahrnehmungen auf chinesischer Seite, so der Historiker Richard Overy in „Warum Krieg?“ Er bezweifelt aber diesen Ansatz des Hegemoniestrebens bzw. – wie er es nennt – diese „Machtübergangstheorie“ (S. 240). Zum einen seien aufgrund des atomaren Patts kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Großmächten unwahrscheinlich geworden – beide Seiten wissen, dass diese selbstzerstörerisch wären. Vielmehr würden Interessens- bzw. Hegemoniekonflikte in Stellvertreterkriegen ausgetragen.  Auch die Aufrechnung der Militärpotenziale oder der Wirtschaftskraft unterschiedlicher Mächte allein gäbe keine Auskunft darüber, ob Kriegsgefahr drohe, sehr wohl jedoch eine Aufrüstungsspirale in Kombination mit verbaler Kriegspropaganda: „Art und Ausmaß der Militarisierung sind ein Maßstab, an dem sich mit größerer Wahrscheinlichkeit ablesen lässt, wie wahrscheinlich ein Krieg ist – besonders, wenn es zu einem Wettrüsten zwischen Staaten kommt, die militärisch und industriell mehr oder weniger gleich stark sind.“ (S. 259) Hier wurde bereits viel Porzellan zerschlagen. Der frühere russische Präsident Dimitri Medwedew etwa hat die britisch-französischen Pläne zu einer möglichen Entsendung von Friedenstruppen aus deren Ländern in die Ukraine scharf kritisiert und mit Krieg gegen die NATO gedroht. Macron und Starmer hat er als „Drecksäcke“ bezeichnet.

Zur Bedeutung unklarer Grenzen für kriegerische Auseinandersetzungen

Historische wie aktuelle Analysen würden zeigen, so Overy weiter, dass unklare Grenzen, Grenzregionen mit ethnischen Minderheiten sowie das Gefühl der eigenen Bedrohung dadurch zu Grenzkonflikten und auch Kriegen führen (können). Als aktuelle Beispiele nennt der Historiker die Grenzkonflikte zwischen Indien und Pakistan zum einen und zwischen Indien und China zum anderen. Auch der Nahostkonflikt hänge stark mit der Frage von Grenzbedrohungen und der (nicht gegebenen) Autonomie der Palästinenser im Gaza, also mit Territorialität, zusammen. Und Putin begründete den Krieg gegen die Ukraine mit eigenen „Sicherheitsinteressen“ – kein NATO-Beitritt der Ukraine, Absetzung der russlandfeindlichen Regierung in Kiew, Schutz der russischen Bevölkerung in den ostukrainischen Bezirken sowie auf der Krim. Dass auch ökonomische Interessen eine Rolle spielen (Industrieanlagen und Rohstoffe, Zugang zum Schwarzen Meer, ist evident.

Grenzstreitigkeiten kooperativ zu lösen und Konflikte gewaltfrei auszuräumen, spielt daher eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Gefahr von Kriegen zu verringern. US-Präsident Woodrow Wilson hätte daher, so Overy, 1920 in der Satzung des Völkerbundes einen Passus verankern wollen, der als Schlüssel zur dauerhaften Sicherheit auch eine ethnische und kulturelle „Homogenisierung“ der Völker und Nationen gestatten sollte. Seine Verbündeten hätten dies aber aus praktischen Gründen abgelehnt.

Die ungelöste Taiwanfrage und andere mögliche Grenzverschiebungen

Die Taiwanfrage gilt als ungelöster Territorialkonflikt, dem große politische Sprengkraft zugesprochen wird. Matthias Naß, langjähriger Chinakorrespondent der Wochenzeitung „Die Zeit“, warnt zwar vor einer Konfrontation Chinas mit den USA im pazifischen Raum. China sei aber weltmarktorientiert und wolle sich die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen nicht vertun, was mäßigend auf beide Seiten wirken könnte. Dennoch nähme die Rivalität um Einfluss insbesondere in Ostasien zu – zugespitzt auf die Taiwanfrage sowie die ungeklärten Besitzverhältnisse um die Inseln im südchinesischen Meer, unter denen große Rohstoffvorkommen lagern, so der Journalist in “Kollision. China, die USA und der Kampf um die weltpolitische Vorherrschaft im Indopazifik“.

Und Taiwan ist mit Südkorea führend in der Halbleiter-Produktion. Man sagt, dass Halbleiter für die Weltwirtschaft in den nächsten fünf Jahrzehnten jene Bedeutung haben werden, die Erdöl in den letzten Jahrzehnten gehabt hatte. Ein einziges taiwanesisches Unternehmen, TSMC, produziert rund 60 Prozent der modernsten, kleinsten Chips auf dem Weltmarkt. Eine Eskalation in der Straße von Taiwan könnte, so wird befürchtet, die Versorgung mit Chips unterbrechen. Die USA haben den taiwanesischen Konzern daher bereits ins Land geholt – im US-Bundesstaat Arizona werden seit kurzem Chips produziert, eine weitere in Japan, auch in Dresden wird eine Fabrik gebaut, der Spatenstich erfolgte im August 2024.

Die Warnung des China-Experten: China und der Westen seien wirtschaftlich und finanziell auf das Engste miteinander verflochten, doch der nationalistische Furor sei manchmal stärker als der Wunsch nach Frieden und nach Wahrung des Wohlstands, wie Putins Krieg gegen die Ukraine gezeigt habe. Der chinesische Führer Xi Jinping sei besonnener und pragmatischer, aber „auch für ihn ist die Wiedervereinigung Taiwans mit dem Festland eine heilige patriotische Pflicht“ (S. 16).

Akzeptanz einer multipolaren Welt und Rückkehr zum Prinzip der gegenseitigen Sicherheit

„Es gibt keinen gerechten Frieden für die Ukraine“, so Gerhard Schwischei in einem Leitartikel der Salzburger Nachrichten (14.3.25). Das ist ernüchternd, aber wohl realistisch. Für die Ukraine kündigt sich eine Art von Trump und Putin ausgehandelter Diktatfrieden an, in dem die Ukraine nicht nur auf einen NATO-Beitritt verzichtet, sondern auch zu Gebietsabtretungen bereit ist. Der Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch sieht die Lage ähnlich und die EU im Dilemma: „Egal, was Europa plant, in gewisser Weise müsste man mit Russland einen Deal machen. …Die ehemalige Sowjetunion soll ihm als Einflussgebiert zugestanden werden.“

Genau dies waren Putins Forderungen an den Westen, bevor er russische Truppen in die Ukraine einmarschieren ließ, wie der damalige Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsident der Kommission Josep Borrell am 12. Jänner 2022, also kurz vor Putins Einmarsch in die Ukraine, dargelegt hat. Keine Frage: Putins Krieg gegen die Ukraine, der nun drei Jahre dauert, ist völkerrechtswidrig. Er hat viel Zerstörung und Leid gebracht – wie jeder Krieg. Umso dringender ist es, spät aber doch, einen Frieden zu finden, der wohl mit Kompromissen einhergehen wird müssen. Es wird auch, um dauerhaften Frieden zu erreichen, eine Sicherheitsarchitektur für ganz Europa brauchen, die auch Russland einschließt. Das sind die Lehren von der gemeinsamen Sicherheit, mit denen der Kalte Krieg beendet werden konnte. Wir können hier auf historische Erfahrungen nach dem Prinzip der gegenseitigen Sicherheit über Verträge zurückgreifen. Es wird daher auch einen neuen Modus Vivendi mit Putin geben müssen, solange er an der Macht ist.

Klug wird es sein, auch die Konfrontation mit China zu entschärfen und auf Kooperation zu setzen. Der Übergang von einer Unipolarität zu einer Multipolarität könne möglichweise eine stabile Plattform für eine neue Weltordnung bieten, so Historiker Overy: „Es ist durchaus möglich, in China eher eine regionale Großmacht zusehen, nicht unbedingt eine Weltmacht. Dann würde die Machtübergangsfrage auf internationaler Ebene eher Asien treffen, was ein geringeres Risiko eines kriegerischen Machtübergangs bedeuten würde.“ (S. 263) Moralisierende Anklagen gegen staatliche Systeme seien wirkungslos und würden nur Unmut und Verhärtung hervorrufen, so auch Richard David Precht: „Die Gemaßregelten, so viel steht fest, sehen in ´westlichen Werten´ mitunter nicht zu Unrecht westliche Interessen und kein humanistisches Anliegen. …. Resultat ist dann nicht ein positives Ergebnis, sondern eine gesinnungsethische Überanstrengung, die blind wird für ihre Erfolgsaussichten.“ (S. 233f.)

Ob die nun gestartete weitere Aufrüstung in der EU uns mehr Sicherheit bringt oder nur Scheinsicherheit suggeriert, habe ich in einem Kommentar für das Friedensbüro Salzburg dargelegt. Dasselbe gilt für die geplante Aufrüstung Deutschlands. Der Deutsche Bundestag hat mit knapper Zweidrittelmehrheit eine Grundgesetzänderung verabschiedet, nach der Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit ab einer bestimmten Höhe von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Beschlossen wurde auch ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für Infrastrukturausgaben. Zudem wird die bislang strenge Schuldenregel für die Bundesländer gelockert. Auf 1,5 Billionen Doallr beliefen sich die Militärausgaben der 32 NATO-Staaten im Jahr 2024. [1]

Macht mehr Rüstung Europa tatsächlich sicherer? Dazu gibt es zwei Positionen. Die einen warnen vor Putin, dass er auch Europa angreifen könnte – ein vehementer Vertreter dieser Ansicht ist der NATO-General Mark Rutte. Russland stellt auch nach Ansicht der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas eine existenzielle Bedrohung für die Sicherheit der Europäischen Union dar. Es werden Parallelen zur anfänglichen Appeasementpolitik Frankreichs und Englands gegen Hitler gezogen.

Andere bezweifeln, ob uns mehr Aufrüstung sicherer macht. „Man kommt um den Frieden nicht herum, wenn man sich mit dem Krieg auseinandersetzt,“ so die Friedensforscher Hendrik Simon und Lothar Brock vom Peace Research Institut Frankfurt. Die Polarisierung zwischen sogenannten „Kriegstreibern“ und „Friedensträumern“ enge den Diskurs auf Sicherheit und Kriegstüchtigkeit ein. Doch „Sicherheit“ und „Frieden“ schließen einander nicht aus. Die beiden sprechen von einer „Tragik der Sicherheitspolitik“, man kann es auch Dilemma nennen: „Soweit es mit Aufrüstung verbunden ist, schafft das Streben nach Sicherheit immer neue Unsicherheiten.“

Aus meiner Sicht wird die Debatte viel zu einfach geführt. Mehr Reflexion über die tatsächliche Bedrohungslage wäre wünschenswert. Dass die Baltischen Staaten – Kallas kommt aus Lettland – Angst vor Übergriffen der russischen Armee haben, mag verständlich sein, ob das Herbeireden einer Kriegsgefahr der richtige Weg ist, bezweifle ich jedoch. Deeskalation und Kooperation müssen wieder Platz greifen – bei allen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Die Rüstungskonzerne freilich freuen sich bereits auf satte Gewinne. Doch die Mittel, die für eine weitere militärische Hochrüstung ausgegeben werden, fehlen uns für die Bearbeitung jener Herausforderungen, die unsere Sicherheit und die folgender Generationen massiv bedrohen werden: die Zuspitzung der Klimakrise und die Degradierung der Ökosysteme, damit zusammenhängend die Zunahme von Hungersnöten, erzwungene Migration und rapide steigende volkswirtschaftliche Kosten für die Behebung der Schäden.

Professor Jeffrey Sachs übertitelte seine Rede vor dem Europäischen Parlament am 19. Februar 2025 mit „The Geopolitics of Peace“. Wir werden eine neue „Geopolitik des Friedens“ schnellstens brauchen.

[1] Die jüngste Statistik und Schätzung der NATO datiert vom vergangenen Juni. Damals errechnete die Allianz, die 32 NATO-Staaten würden im Jahr 2024 rund 2,71 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts (BIP) für Verteidung ausgeben – zusammengerechnet eine Summe von 1,5 Billionen US-Dollar (etwa 1,4 Billionen Euro). Die Inflation und Wechselkursschwankungen herausgerechnet würde dies im Vergleich zum Vorjahr einem Anstieg um 10,9 Prozent entsprechen. Die europäischen Alliierten und Kanada allein würden den Angaben zufolge auf 2,02 Prozent kommen – mit geschätzten Ausgaben von rund 507 Milliarden US-Dollar ein Plus von 17,9 Prozent. Ihr Anteil liegt damit bei rund einem Drittel der Gesamtausgaben der NATO-Staaten. (nach Tagesschau 8.1.2025)

Mag. Hans Holzinger, Nachhaltigkeitsexperte, Sachbuchautor (zuletzt erschienen „Wirtschaftswende“) sowie Beiratsmitglied des Friedensbüros Salzburg

hansholzinger01@gmail.comwww.hans-holzinger.org