Hier wieder mal ein Tipp zu einem Buch, das ich wichtig finde:

Wir alle machen Wirtschaft. Für eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Finanzbildung. Hrsg, v. Armutskonferenz u.a. Wien: Mandelbaum-Verlag, 2025, 222 Seiten

Wir alle machen Wirtschaft
Plädoyer für eine multiperspektivische Wirtschaftsbildung
(Eingereicht als Rezension bei GW Unterricht)

Von Hans Holzinger

„Wir alle machen Wirtschaften“ – so das Motto einer Plattform von wirtschafts- und sozialpolitischen Organisationen (darunter die Fachgruppe Geographische und Sozioökonomische Bildung der Österreichischen Geographischen Gesellschaft – GESÖB sowie GW Unterricht), die sich das Ziel gesetzt haben, Wirtschaft im Kontext der vielfältigen ökonomischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen multiperspektivisch zu vermitteln.[1] Vorgestellt und angeboten werden Bildungsmaterialien, Workshops sowie einschlägige Publikationen. Ein soeben erschienener Sammelband widmet sich in diesem Sinne unterschiedlichen Feldern von Wirtschafts- und Finanzbildung. Gewonnen wurden dafür Lehrende unterschiedlicher Universitäten und Fachhochschulen aus Österreich und Deutschland. Als Kriterien „zukunftsfähiger wirtschaftlicher Bildung“ (Einleitung S. 11ff.) werden genannt: 1) ein umfassender Wirtschaftsbegriff, der nicht nur Unternehmen bzw. Marktaktivitäten betrachtet, sondern alle wirtschaftlichen Tätigkeiten; 2) multiperspektivische Bildung, die unterschiedliche wirtschaftliche Denkschulen berücksichtigt und diskutiert; 3) Subjekt- und Problemorientierung, also die Herstellung von Bezügen zur Lebensrealität der Schüler*innen sowie zu aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen, etwa im Kontext Ökologie oder Ethik; 4) Transparente und von Gewinninteressen unabhängige Akteur*innen und Materialien, etwa im Zusammenhang mit Finanzbildung; 5) Kritischer Ansatz, der unterschiedliche Sichtweisen, Diskurse und Debatten über wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Fragen thematisiert.

Partizipation an der politischen Gestaltung der Wirtschaft

Demnach soll „wirtschaftliche Bildung zur Partizipation an der politischen Gestaltung von Wirtschaft in Öffentlichkeit und Politik, Unternehmen, Organisationen und Zivilgesellschaft befähigen“ (ebd. S. 13). Wirtschafts- und Finanzbildung müsse sicherstellen, „dass Menschen Zusammenhänge sehen und verstehen können, um nach ihnen zu handeln“ (ebd.), das heiße auch, für eigene Interessen und das Gemeinwohl einstehen zu können. Wirtschaftliche Bildung wird als zentrale bildungspolitische Maßnahme definiert, „mit der Kindern und Jugendlichen politisch-soziale Deutungsmuster und Weltbilder mit Blick auf Wirtschaft, Arbeitswelt und Soziales vermittelt werden“ (Zurstrassen/Franke,  S.20). Im Kontext ökologischer und geopolitischer Herausforderungen wird auch gefordert, die Errungenschaften von Sozialstaat und Demokratie wertzuschätzen und für zukünftige Ziele zu adaptieren: „Diese Vorzüge zu kennen und zu schätzen und gleichzeitig zu verstehen, in welcher Hinsicht die aktuelle Wirtschaftsweise nicht nachhaltig ist, erlaubt, die Potenziale zukunftsfähigen Wirtschaftens realistisch einzuschätzen.“ Novy/Bärnthaler/Prieler, S. 122).

Die Inhalte des Buches folgen diesem emanzipatorischen Ansatz. Im ersten Abschnitt „Akteure und Interessen“ wird die Genese der österreichischen Finanzbildungsstrategie sowie die Gefahr der Vereinnahmung der wirtschaftlichen Bildung durch unternehmensnahe Stiftungen oder Finanzinstitute ebenso angesprochen wie das Problem einseitiger Erzählungen über Armut oder die „Notwendigkeit“ privater Vorsorge fürs Alter. Im zweiten Abschnitt „Vielfältige Perspektiven auf Wirtschaft“ geht es um die historische Entwicklung der Marktwirtschaft, den (fehlenden) Pluralismus in der Volkswirtschaftslehre, die Perspektive der feministischen Ökonomie, zudem um unterschiedliche Erklärungsansätze und Theorien zur wirtschaftlichen Globalisierung sowie zu Geld und Inflation.

Ansätze zukunftsfähiger Wirtschaftsbildung

Die Themen des dritten Abschnitts „Ansätze zukunftsfähiger Wirtschaftsbildung“ stellen sich den Herausforderungen an wirtschaftliche Bildung „in unsicheren Zeiten“ (S. 121) – Stichworte wären die Mehrfachkrise sowie die Neujustierung von Wohlstandsbildern im Zusammenhang mit Resilienz – und sie widmen sich neuen Wirtschaftskonzepten wie Care-, Gemeinwohl- oder Donut-Ökonomie (letztere wurde von der britischen Ökonomin Kate Raworth im Kontext der Planetary Boundaries entwickelt). Beiträge zu einer bedingungslosen Grundversorgung als „Grundlage bedürfnisorientierten Wirtschaftens“ (S. 154) sowie zur Neujustierung der Landwirtschaft und des Lebensmittelsektors im Sinne von Ernährungssouveränität und Regeneration der Ökosysteme runden diesen Abschnitt ab.

Der Band schließt mit einer Art Fundgrube, in der einschlägige Bildungsangebote u. a. der Arbeiterkammer, der Schuldenberatung, des Wiener Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum, des Netzwerk Steuergerechtigkeit sowie jenes für Frauenrechte und feministische Perspektiven WIDE oder ein Finanzplanspiel von attac vorgestellt werden. Auch die „kostenlosen, qualitätsgeprüften Unterrichtsbeispiele zu Wirtschafts- und Finanzbildung“ (S. 188) des Projekts „INSERT – International Research Network for Sozio-Economic Education and Reflektion“, eine Initiative der GESÖB, findet man in der wertvollen Zusammenschau.[2]

Resümee: Wirtschaftliche Bildung an den Schulen ist in den österreichischen Lehrplänen im Geographieunterricht verankert – das Fach heißt genau genommen „Geographie und Wirtschaftskunde“, die einschlägigen Schulbücher sind darauf abgestimmt. Wirtschaftliche Bildung ist ebenso wie die Lehre an den volkswirtschaftlichen Universitäten ein umkämpftes Feld. Will sie junge Menschen fit für das 21.Jahrhundert machen, muss sie sich nicht nur alltagspraktischen Themen wie dem Umgang mit Geld, unterschiedlichen Anlageformen oder der beruflichen Orientierung widmen, sondern auch den großen Fragen der Zeit, der Überwindung von Hunger und Armut, dem Achten auf die planetaren bzw. ökosystemischen Grenzen oder der Eindämmung der menschengemachten Klimakrise ebenso stellen wie weltverträglichen Wirtschafts- und Lebensweisen für neun oder zehn Milliarden Menschen. Wir brauchen neue Erzählungen über ein gutes Leben, neue Bilder von Wohlstand sowie die Abkehr vom Wachstumsdenken-  zu hinterfragen ist daher auch das Akkumulations- und Expansionsregime des Spätkapitalismus. Die Beiträge dieses Bandes machen dies einmal mehr deutlich.

Mag. Hans Holzinger ist Wirtschafts- und Sozialgeograph, Senior Adviser der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen sowie Mitglied von Scientists for Future. 2024 ist sein neues Buch „Wirtschaftswende. Transformationsansätze und neue ökonomische Konzepte im Vergleich“ bei oekom erschienen. Derzeit arbeitet er an einer Analyse von Schulbüchern für Geiographie und Wirtschaftskunde. Kontakt: hans.holzinger@jungk-bibliothek.org


[1] Auf der Homepage heißt es: „Ziel des Netzwerks ist es, den aus unserer Sicht einseitig geführten gesellschaftlichen Diskurs zu Wirtschafts- und Finanzbildung zu bereichern und zu einer multiperspektivischen Diskussion beizutragen. Um das zu erreichen, versucht das Netzwerk möglichst viele verschiedene gesellschaftliche Akteur:innen einzubinden und ihre Stärken im gemeinsamen Tun zu multiplizieren.“ www.wirallemachenwirtschaft.at.

[2] Vgl. dazu auch die GESÖB-Publikation „Wirtschaft begreifen“ von Christian Fridrich, Lehrender an der Pädagogischen Hochschule Wien.