Leicht gekürzt erschienen in: Salzburger Nachrichten 2.9.2023
Sturmfluten in Asien und an der US-Atlantikküste, Waldbrände in Kanada, Hitzewellen in Südeuropa, Gewitterrekorde in Österreich – ein weiterer Sommer der Extreme. Vor kurzem wurden die wärmsten Tage der Messgeschichte verzeichnet, so US-Wissenschaftler. Wir nehmen die Wetterextreme zur Kenntnis, tun uns aber noch immer schwer, die Konsequenzen zu ziehen. „In die Vermarktung von fossilen Produkten und fossilen Lebensstilen wurden jahrzehntelang Fantastilliarden gesteckt“, schreibt die Mitbegründerin von Fridays for Future Deutschland Luisa Neubauer. Mit größter Kreativität sei ein Verbrenner zur Grundausstattung eines guten Lebens, ein Steak auf dem Grill zum wohlverdienten Feierabend und 220 km/h Sinnbild fortschrittlicher Freiheit geworden. Das sei alles merkwürdig, „aber eben die Ausgangslage, mit der es zu arbeiten gilt.“ Neubauer kritisiert den „fossilen Lobbyismus“ und fordert die „Vermarktung klimagerechter Lebensmodelle“: Wer entzaubert fossile Produktivität, welches Lebensgefühl kann man den Menschen in der Dekarbonisierung anbieten, wo entstehen die neuen fossilfreien Zugehörigkeiten, fragt die Klimaaktivistin.
Klimapolitik ist mühsam, die bisher gesetzten Schritte sind zu klein, der Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderungen stehen die Bremser in der Fossilbranche ebenso entgegen wie unsere als wohlerworben angesehenen Routinen und Gewohnheiten. Es ist Urlaubszeit. „Am 6. Juli waren zeitweise mehr als 20.000 Flugzeuge gleichzeitig in der Luft“, meldete flightradar, eine App, in der live die aktuellen Flugbewegungen nachverfolgt werden können. Die Staus an Österreichs Autobahnen gen Süden zu Beginn der Schulferien werden von Jahr zu Jahr länger – vom Pandemiejahr mal abgesehen.
Es gibt Fortschritte auch in Salzburg, aber sie fallen zu klein aus. „Gegenüber dem Vorjahr 2019 sind in vielen Bereichen Emissionsrückgänge zu verzeichnen, insbesondere im Verkehr (rund 14% Reduktion) und der Industrie (rund 5% Reduktion)“, so heißt es im vor kurzem erschienenen Zwischenbericht „Masterplan Klima + Energie 2030“ des Landes Salzburg. Das klingt nach einer Erfolgsmeldung. Leider ist dem nicht ganz so, da der Rückgang zum großen Teil Corona geschuldet ist. Der Bericht dazu: „Der Rückgang im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 ist vorrangig auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie zurückzuführen. Für das Jahr 2021 zeigen Daten auf Bundesebene einen erneut steigenden Trend, was entsprechend auch für Salzburg zu erwarten ist.“
„Nach dem Rückgang der Emissionen im Pandemiejahr 2020 kam es im Jahr 2021 in vielen Sektoren wieder zu deutlichen Zuwächsen“, heißt es in einem Bericht des Umweltbundesamtes.[1] Die Bilanz für 2022 wird wohl ähnlich ausfallen, auch wenn das Umweltbundesamt aufgrund der Verteuerung der Energie im Zuge des Krieges gegen die Ukraine von einem mäßigen Rückgang der Emissionen ausgeht. „Die nationalen Treibhausgas-Ziele wurden 2021 zwar erreicht, steuerten aber wieder auf das Vor-Krisen-Niveau zu“, erklärt Günther Lichtblau, Klimaexperte des Umweltbundesamts, und meint: „Wenn wir Klimaneutralität und die europäischen Ziele noch erreichen wollen, müssen wir dringend intensive Maßnahmen ergreifen.“ Für die Klimaneutralität Österreichs im Jahr 2040 seien weitreichende Transformationsschritte vor allem zur Reduktion des Gesamtenergieeinsatzes sowie zum Ersatz fossiler durch erneuerbare Energie erforderlich.
Salzburg: Einige Erfolge gab es zuletzt, etwa durch die Einführung der Klimatickets
Leider hinkt auch in Salzburg die Langfristentwicklung den Klimazielen deutlich hinterher. Für 2020 war eine Einsparung von Treibhausgasen um 30 Prozent gegenüber 2005 geplant, erreicht wurden aber nur rund 20 Prozent. Um das Ziel einer Reduktion um 50 Prozent bis 2030 gegenüber dem Bezugsjahr 2006 zu erreichen, sind deutlich mehr Anstrengungen nötig.
Der Salzburger Zwischenbericht zum Masterplan enthält aber dennoch einige positive Aspekte, die zeigen, dass wirksame Klimapolitik möglich ist. Gut liegen wir im Bereich des Anteils Erneuerbarer Energie, der 2020 bereits bei 56 Prozent lag – Ziel waren 50 Prozent. Für 2030 werden 65 Prozent angepeilt, was durchaus realistisch erscheint. Als Erfolgsgeschichte gilt auch die Einführung des Klimatickets sowie die Förderung der Jahrestickets durch das Land Salzburg. Der Verkauf an Jahreskarten ist von 34.500 im Jahr 2020 auf 55.000 im Jahr 2021 stark gestiegen. Das entspricht einer Vervierfachung seit dem Jahr 2016, in dem erst 13.000 Jahresticket-Besitzende gezählt werden konnten.
Bemerkenswerte Erfolge können im Gebäudebereich vermeldet werden. Die Emissionen des Gebäudesektors sind seit 2005 mit einer Reduktion um 41 Prozent deutlich gesunken. Insgesamt macht der Gebäudesektor im Jahr 2020 rund 14 Prozent der Treibhausgasemissionen des Landes aus, heißt es im Bericht. Als Zukunftsherausforderung gilt der Tausch der verbliebenen Öl- (und dann auch) Gasheizungen. Von 2020-2022 wurden zwar über 3.600 Ölkessel getauscht, die verbleibenden 26.000 Ölanlagen sollen jedoch bis 2030 der Vergangenheit angehören, was mehr Tempo erfordert.
Als kleiner Erfolg ist zu werten, dass die Energieeffizienz in Salzburg zugenommen hat. Der Bruttoinlandsenergieverbrauch ist von 2005 – 2020 um 13 Prozent gesunken, bei einer Zunahme der Bevölkerung um 7 Prozent und des Bruttoregionalprodukts um 16 Prozent. Die Daten zeigen, dass Klimamaßnahmen wirken können, dass aber noch mehr zu tun ist, um das gesteckte Ziel der THG-Reduktion um 50 Prozent bis 2030 bei einem Anteil an Erneuerbaren Energie von 65 Prozent (Stand 2020: 56 Prozent) zu erreichen. Denn auf eine weitere Pandemie wollen wir nicht setzen.
Die größte Herausforderung bleibt der Verkehr
Aktuelle Straßenverkehrszählungen würden darauf hinweisen, so die Experten und Expertinnen des Landes Salzburg, „dass eine Trendumkehr weg vom motorisierten Individualverkehr, hin zum Umweltverbund derzeit nicht erkennbar ist.“ Dies verdeutliche auch, „dass eine ausschließliche Steigerung der Attraktivität des Angebotes im öffentlichen Verkehr wie sie bereits kontinuierlich vorangetrieben wird ohne weitere Maßnahmen nicht zur Erreichung der erhofften Verlagerung führen wird.“
Notwendig ist ein viel stärkerer Umstieg auf den ÖV sowie das Fahrrad. Ob der geplante Ausbau der Lokalbahn zur U-Bahn seine Kosten wert ist und den Umschwung bringen wird, ist noch nicht ausgemacht. Ohne parallel umgesetzte Einschränkungen für den Individualverkehr lässt sich die Mobilitätswende wohl nicht erreichen. E-Mobilität allein wird die Verkehrsprobleme Salzburgs nicht lösen. Aber auch in der Zulassung von E-Autos sind wir noch immer am Anfang. Nur 2,7 Prozent der PKW-Flotte waren 2022 elektrifiziert, das entspricht ca. 8.900 E-Autos – bis 2030 ist im Masterplan eine Verzehnfachung auf 83.000 E-Fahrzeuge vorgesehen.
Die Politik hat die größten Hebel in der Hand
Das aktuelle Regierungsübereinkommen enthält durchaus Vorschläge, die in die richtige Richtung weisen – etwa in Bezug auf die letzte Meile, also den Zubringerverkehr zu den Bahnhöfen, oder im Zusammenhang mit dem geplanten Sanierungsausweis für Gebäude. Auffallend ist aber, dass zwar von Energieautonomie, wenig aber von der Klimakrise gesprochen wird. Nur einmal wird die Klima- und Energiestrategie 2050 erwähnt, einmal kommt der Begriff der Dekarbonisierung vor. Von der Dringlichkeit des Handelns aufgrund der Erderhitzung ist nichts zu lesen. Dazu passt, dass es kein eigenes Klimaressort gibt. Die Nachhaltigkeitsstrategie von Südtirol klingt hier konkreter: „Die gigantische Abgabe von Treibhausgasen verändert ein System, das wir erst erahnen und nur am Rande verstehen. Einfach weitermachen wie bisher wäre mehr als fahrlässig“, heißt es darin. Es bestehe kein Zweifel, dass weder Südtirol noch die Welt derzeit nachhaltig lebt und wirtschaftet, im Gegenteil: „wir leben weit über unsere Verhältnisse und damit auf Kosten unserer Kinder.“ Der Wandel wird als Notwendigkeit und Zukunftsperspektive begriffen: „Südtirol hat durch seinen hohen Lebensstandard und dank seiner Autonomie eine besondere Verantwortung, aber auch eine ungemein große Chance.“ Anders das Salzburger Regierungsübereinkommen: Betont wird hier die weitere Steigerung des Lebensstandards sowie der Wettbewerbsfähigkeit der Salzburger Wirtschaft. Zielkonflikte mit einer nachhaltigen Entwicklung werden nicht gesehen beziehungsweise ausgeblendet. Die Frage nach der Notwendigkeit einer drastischen Reduzierung des Ressourcen- und Energieverbrauchs wird nicht gestellt.
Ein Ende 2022 von Klimaschutzministerin Eleonore Gewessler und Arbeitsminister Martin Kocher vorgestellter 750 Seiten dicker Bericht mit dem Titel „Klimafreundliches Leben“, an dem 80 Expertinnen und Experten mitgearbeitet haben, betont insbesondere eines: Wenn die Menschen in Österreich klimafreundlich leben wollen, muss vor allem die Politik die Weichen dafür stellen. Das entlässt uns als Individuen nicht aus der Verantwortung, macht aber deutlich, wo die großen Hebel für den erforderlichen Wandel liegen. Die Vorschläge liegen am Tisch und andere Länder machen es vor: Schweden und die Schweiz haben seit vielen Jahren wirksame CO2-Steuern, ohne an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt zu haben. In Österreich fordern Vertreter der Wirtschaft die Rücknahme der ohnedies mickrigen CO2-Steuer. Immer mehr Länder haben wirksame Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Straßen, Deutschland und Österreich tun sich noch schwer. Diese Erfolgsbeispiele müssen viel mehr den Klimadiskurs bestimmen – nicht die Angst vor Veränderung. Denn Angst sollen wir haben, wenn sich nichts ändert. Der Soziologe Harald Welzer bringt es auf den Punkt: „Noch nie haben Menschen mit so viel Wissen so viel falsch gemacht“.
Hans Holzinger ist Autor von Büchern zum Thema Nachhaltigkeit und Mitglied von Scientist for Future Salzburg.
[1] In der Tat sind die Treibhausgas-Emissionen in Österreich von 2020 auf 2021 um 4,9% gestiegen und lagen bei 77,5 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent, so die Treibhausgas-Bilanz des Umweltbundesamtes für das Jahr 2021.