Impuls von Mag. Hans Holzinger bei der Präsentation des Klimakoffers der Öffentlichen Bibliotheken Salzburgs in Radstadt am 2. März 2020 gemeinsam mit Anika Dafert von Fridays for Future (links im Foto) und Landesrätin Andrea Klambauer (Fotomitte). [Überarbeiteter Text]

Danke für Einladung. Der mir gestellten Frage, was jede und jeder Einzelne zum Klimaschutz beitragen kann, möchte ich mich auf einem Umweg nähern. Denn die Herausforderung ist komplex und die Dinge liegen nicht so einfach, wie wir uns das oft gerne wünschen.

Wir leben in einem historisch einmaligen Wohlstand. Wir können uns vieles leisten, sind mobil und viel unterwegs. Zu den Errungenschaften dieses „Wirtschaftswunders“ zählen auch Demokratie, ausgeweitete Bildungsmöglichkeiten, Gesundheitseinrichtungen, kulturelle Angebote u.a.m. Das Lebensalter hat sich innerhalb eines Jahrhunderts verdoppelt. Und der Trend nimmt weiter zu. Wir leben länger und wir konsumieren länger. Sie können einwenden, dass diese Errungenschaften nicht für alle gleich gelten. Das stimmt, der Fahrstuhl fährt für manche nicht mehr weiter nach oben und für manche wird er sogar zur Strickleiter. Aber in globaler wie historischer Perspektive geht es uns sehr gut.

Zugleich beschleicht uns ein ambivalentes Gefühl: Wir ahnen, so kann es nicht weitergehen. Wir wissen, dass dieser Wohlstand noch das Privileg einer Minderheit der Weltbevölkerung ist. Viele Menschen hungern oder erfrieren – wie aktuell in den Flüchtlingslagern in Nordsyrien, der Türkei oder Griechenland, darunter viele Kinder. Dies trotz des gigantischen Reichtums in der Welt.

Wir wissen auch um den Raubbau an der Natur, die Zerstörung unserer Umwelt, den Verlust von fruchtbaren Böden, der Wasserknappheit in vielen Regionen, den rapiden Artenschwund und den Eingriff ins Klimageschehen. Seit vielen Jahren warnt die Klimaforschung vor der Erwärmung des Planeten und den Folgen.

Dieses Wissen um die Widersprüche und Ambivalenzen unseres Wohlstandes erzeugt ein ungutes Gefühl und verlangt alltäglich eine große Verdrängungsleistung.

Die Sensibleren, die nicht zur Gänze verdrängen und sich mit Entertainment ablenken, setzen kleine Schritte, etwa durch Spenden an Hilfsorganisationen, um nicht ganz hilflos zu sein, denn das Drücken des Wutbutton auf Facebook bei all den Grauensmeldungen allein entlastet nicht.

Auch im Umwelt- und Klimaschutz gibt es vorbildhafte Schritte.  Manche fahren weniger mit dem Auto, steigen um auf den Öffentlichen Verkehr, andere montieren Solarzellen aufs Dach, wieder andere ernähren sich vegetarisch oder zumindest mit weniger und besserem Fleisch. Wieder andere steigen in kein Flugzeug mehr.

All das ist sinnvoll und nachvollziehbar. Aber reicht es?

Einer meiner Arbeitsschwerpunkte ist Transformationsforschung. Wir fragen danach, wann und unter welchen Bedingungen sich Gesellschaften verändern – also kollektives Lernen stattfindet – und welche Barrieren es gibt. Denn: Um zu tatsächlich nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweisen zu gelangen, reicht es nicht, wenn sich einige nachhaltiger verhalten. Alle müssen mittun! Alle Bürger und Bürgerinnen, alle Unternehmen und die Politik

Was sind Barrieren für einen tatsächlich wirksamen Wandel?

  1. Systemischer Wachstumszwang und Hyperproduktivität

Die Menschen waren früher nicht umweltbewusster, aber in der Bauern- und Handwerkergesellschaft konnte man die Natur gar nicht zerstören, weil es nicht die technologischen Möglichkeiten dazu gab. Erst die industrielle Produktionsweise ermöglicht die enormen Eingriffe in die Ökosysteme. Wir produzieren immer mehr in immer kürzerer Zeit mit immer weniger menschlicher Arbeitskraft. Weltweit verlassen pro Sekunde 7 neue PCs und 2-3 neue Autos die Fließbänder – mit einem entsprechenden ökologischen Rucksack! Der weltweite Fleischkonsum hat sich in 50 Jahren vervierfacht mit der Folge, dass immer größere Ackerflächen für die Futtermittelproduktion benötigt werden. 85 Prozent des produzierten Soja und 50 Prozent des Getreides weltweit werden an Tiere verfüttert, so der „Weltagrarbericht“. Und die Weltwohlstandsbürger sind mobil. 3,7 Milliarden Flugpassagiere weltweit gab es laut Weltbank bereits im Jahr 2016, der Trend weist weiter nach oben. Das International Transport Forum rechnet mit einer Steigerung des weltweiten Passagierverkehrs bis 2050 um weitere 135 Prozent. Das Frachttransportvolumen soll gar um 230 Prozent steigen.

Wir sind hypermobil, hyperproduktiv und hyperaktiv. Letzteres führt übrigens zu immer mehr psychischen Beschwerden – Burnout und Depressionen als Kehrseite dieser Hyperaktivität sind stark im Steigen begriffen. Ich fasse zusammen: Die Weltwirtschaft ist eine gigantische Megamaschine mit fossilen Energien als zentralem Antrieb. Ein Riesentanker, der sich nicht so leicht wenden lässt.

Was wären Auswege? Zentral erscheint mir die Abkehr vom Wirtschaftswachstum in den bereits materiell wohlhabenden Ländern. Dazu gehört eine Neujustierung der Wohlfahrtsstaaten mit anderen Einnahmequellen, etwa durch die Besteuerung von Umweltverbrauch und einer übermäßigen Anhäufung von Reichtum sowie durch Unterbindung von Steuerflucht für Konzerne und Vermögende.  Wir brauchen eine Energie- und Mobilitätswende, eine Konsum-, Verteilungs- und Steuerwende, eine Stadtwende, eine Agrarwende. Die Konzepte liegen in den Schubladen und in Nischen werden sie ja bereits umgesetzt.

  1. Gefangenendilemma und gegenseitige Abhängigkeit

Unsere Gewässer konnten wir durch Umweltschutzmaßnahmen allein wieder sauber kriegen, zum Teil auch unsere Böden und Wälder regenerieren. Beim Klima müssen alle Staaten mittun, jene die dem Klima am meisten zusetzen mehr als jene, die weniger Treibhausgase verursachen. D. h. wir brauchen ein weltweit koordiniertes Vorgehen. Wir in den bereits reichen Ländern sind darauf angewiesen, dass die Länder mit „nachholender Entwicklung“ gemeinsam mit uns nach zukunftsverträglichen Wirtschafts- und Konsumweisen suchen.

Das Argument, dass wir allein nichts ausrichten können, ist dennoch gefährlich. Denn wenn sich das alle denken, kommt es zu einer fatalen Abwärtsspirale. Es braucht Vorreiter(Staaten), die zeigen, dass Alternativen machbar sind. Aber es braucht dann auch global verbindliche Vereinbarungen, woran wir bisher weitgehend scheitern. Salzburg hat im Bereich Raumwärme und Energiebereitstellung einiges erreicht. Die hier eingesparten Treibhausgase wurden jedoch durch den Verkehr überkompensiert. Das selbst gesteckte Ziel, von 2005 bis 2020 den Treibhausgas-Ausstoß um 30 Prozent zu reduzieren, wird leider weit verfehlt.

  1. Verunsicherung durch Fake News und Klimairrtümer

Die Fossilindustrie kann kein Interesse an Klimaschutz haben, denn sie ist in der Tat der Verlierer der Klimawende und hat nachgewiesener Maßen über viele Jahre die sogenannten „Klimaskeptiker“ finanziert. Aber Strukturwandel hat es in der Wirtschaft immer gegeben – und Klimaschutz hat auch Gewinnerbranchen, etwa durch die Energie- und Agrarwende.

Es gibt auch in der Bevölkerung Widerstände gegen die Klimawende. Häufig wird Klima und Wetter verwechselt – das eine zeigt die langfristigen Trends an (die sind eindeutig), das andere hängt von vielen, auch regionalspezifischen Faktoren ab. Dass wir im letzten Winter viel Schnee hatten, verleitete viele zur Meinung, dass es so schlimm nicht sein könne mit dem Klimawandel. Doch Wetteranomalien sind etwas anderes als langfristige Klimatrends. Die Erwärmung der globalen Mitteltemperatur um 1,5 Grad seit Beginn der industriellen Revolution ist ebenso eindeutig wie der Zusammenhang mit dem Ausstoß an Treibhausgasen. Weitere Irrtümer beziehen sich etwa auf die Meinung, dass sich die Klimaforschung nicht einig sei, oder dass es in der Geschichte immer Klimaveränderungen gegeben hat, was stimmt, aber immer dramatisch war. (Eine Broschüre des Österreichischen Umweltbundesamtes gibt übrigens eine gute Zusammenfassung der wichtigsten Klimairrtümer).

  1. Fehlwahrnehmungen und Selbstberuhigung

Was die wirksamsten Klimamaßnahmen sind, wird häufig falsch eingeschätzt. Laut einer Umfrage der Deutschen Umweltagentur gaben die meisten, nämlich 22 Prozent, an, dass der Verzicht auf Plastiksackerl die wirksamste Klimamaßnahme sei. Diese Maßnahme kann in Bezug auf das Müllproblem sinnvoll sein, für den Klimaschutz bringt sie aber fast nichts. Die wirksamsten Maßnahmen betreffen energieeffiziente Gebäude, die Reduktion des fossil getriebenen Auto- und Flugverkehrs sowie eine fleischärmere bzw. vegetarische oder vegane Ernährung. Dabei besteht die Gefahr, dass man jene Maßnahme aussucht, die einem am leichtesten fällt und mit der man sich dann selbst beruhigt und ein gutes Gewissen verschafft. Doch wir brauchen eine Änderung in allen Bereichen: Energie, Mobilität, Ernährung, Konsum. Hilfreich sind Tools wie der Öko-Fußabdruckrechner der Plattform Footprint oder der LifeStyleCheck des Joanneum Research, die einem die Bilanz über die Summe aller Umweltspuren vermitteln, die wir mit unserem Lebensstil hinterlassen.

In der Umweltpsychologie werden zwei weitere Barrieren für Verhaltensänderungen genannt: kognitive Dissonanzen sowie psychologische Reaktanz. Zu kognitiven Dissonanzen kommt es, wenn einander widerstreitende Wahrnehmungen oder Gefühle vorliegen, die in Konflikt geraten. Raucher verbinden mit dem Rauchen i.d.R. positive Erlebnisse, zugleich wissen sie, dass Rauchen der Gesundheit schadet und das Krebsrisiko erhöht. Um diesem inneren Konflikt zu entkommen, gibt es drei Reaktionsweisen: selektive Informationsaufnahme, etwa Ausblendung von einschlägigen Gesundheitsstudien, zweitens, was mit ersterem zusammenhängt, Meidung von Personen und Situationen, die einen auf die Schädlichkeit des Rauchens hinweisen, z. B. der Hausarzt oder ein Freund; die dritte Möglichkeit wäre, in der Tat mit dem Rauchen aufzuhören.

Als psychologische Reaktanz wird die Abwehr von Forderungen verstanden, wenn man sich durch diese in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt gefühlt, etwa sein eigenes Auto zu benutzen. Eine Spielart davon ist die Abwehrreaktion aufgrund der Überflutung mit Katastrophenmeldungen. Mit dem YOLO-Prinzip („You only live once“) wird eine Haltung beschrieben, die sich in den Sarkasmus flüchtet: Wenn ohnedies alles den Bach runter geht, dann jetzt noch schnell gut leben! Entlastung schafft hier in der Tat eine mutige Politik, die konkrete Maßnahmen ergreift. Dies führt zum Nächsten.

  1. Appelle an freiwillige Verhaltensänderung

Kein Zusammenleben geht ohne Regeln. Dies ist uns etwa im Straßenverkehr oder im Sozial- und Justizbereich selbstverständlich. Im Umweltbereich soll, so die vorherrschende Meinung, alles freiwillig, durch Appelle und Bewusstseinsbildung, gehen. Bei Umweltproblemen unterliegen wir einem falschen Freiheitsbegriff: die eigene Freiheit findet nämlich dort ihre Grenzen, wo die Freiheit anderer eingeschränkt wird. Dies sind in Bezug auf Ökosysteme wie das Klima folgende Generationen oder Menschen weit weg von uns, die jedoch die Auswirkungen unseres klimaschädlichen Verhaltens zu spüren bekommen. Die Länder des Südens sind am stärksten vom Klimawandel betroffen, etwa in den bereits jetzt sehr trockenen und heißen Gebieten, oder in Regionen, die durch die Wasserzufuhr über große Gletscher wie im Himalaya oder den Anden angewiesen sind. Ärmere Länder können sich auch weniger Klimaanpassungsmaßnahmen leisten, etwa wenn der Meeresspiegel ansteigt. Es liegt also eine doppelte Ungerechtigkeit vor: jene, die den Klimawandel am wenigsten verursachen, spüren die Folgen am stärksten.

Aufgabe der Politik ist es also, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass das erwünschte Verhalten für alle erleichtert, das unerwünschte erschwert oder auch verboten wird. Die Instrumente sind bekannt: C02-Steuern, keine Subventionen für fossile Energien, kluge Raumordnung, andere Agrarförderung, grüne Städte.

Die Stärke von Fridays for Future ist, dass sie dies begriffen hat und sich nicht abspeisen lässt mit moralischen Appellen, selbst ökologischer zu leben. Die teils sehr heftigen und aggressiven Reaktionen gegen die Bewegung der jungen Menschen ist zum einen auf die oben beschriebene Reaktanz zurückzuführen, zum anderen wohl auch auf einen Generationenkonflikt. Nach dem Motto: Die junge Generation zeigt sich nicht mehr dankbar dafür, was wir für sie geschaffen haben an Wohlstand, an Annehmlichkeiten, sondern kritisiert uns dafür.

Ich gehe von fünf Stufen für Veränderung von Verhalten aus: 1) Es braucht Wissen über die Folgen des eigenen Verhaltens und über Alternativen; 2) das ökologisch erwünschte Verhalten muss in der Gesellschaft hoch angesehen, das unerwünschte Verhalten kritisiert werden, es geht hier um das Sollen, um das, was in einer Gesellschaft anerkannt wird. Daraus folgt schließlich das Wollen, also die intrinsische Motivation (Ich tue etwas, weil es mir persönlich wichtig ist). Um breitenwirksames Umlernen zu ermöglichen, braucht es aber auch entsprechende Infra­strukturen, also Alternativangebote wie einen attraktiven Öffentlichen Verkehr sowie die Aneignung von Kompetenzen, um sich in diesem zu Recht zu finden. Es geht hier um das Können. Schlussendlich brauchen wir jedoch neue Regeln für alle, also das Müssen. Am Beispiel Verkehr: Wenn Parkflächen reduziert und begrenzt werden, müssen Alternativen  zum Auto gesucht werden.

  1. Weg von der Verzichtsdebatte hin zu neuen Wohlstandserzählungen

In meinem Buch „Von nichts zu viel – für alle genug“ plädiere ich für einen erweiterten Wohlstandsbegriff in acht Dimensionen. Es geht um eine neue Beziehung zu den Dingen, die Abkehr von der Wegwerfmentalität hin zur Instandhaltung (Güterwohlstand), um Lebensmittel hoher Qualität für alle (Ernährungswohlstand), um ein erfüllendes Arbeitsleben sowie eine faire Aufteilung auch der Sorgearbeiten (Tätigkeitswohlstand), – damit zusammenhängend – um genügend Zeit für alle wichtigen Lebensbereiche (Zeitwohlstand), daraus resultierend die Aufwertung, Pflege und Förderung menschlicher Beziehungen (Beziehungswohlstand), das Recht auf schönes und leistbares Wohnen für alle in „grünen“ Städten (Ortswohlstand) sowie schließlich um gute Bildung und Qualitätsmedien (Wissenswohlstand) und eine lebendige Demokratie (Demokratiewohlstand). Nicht mehr zu fragen, worauf wir verzichten müssen, sondern was wir mit den Zukunftswenden gewinnen können, erhöht deren Akzeptanz wesentlich.

  1. Selbst Vorbild sein, aber auch sich politisch einmischen

Mit einem verantwortungsvollen Lebensstil können wir zeigen, dass ein anderes Leben möglich ist und so zur Nachahmung anregen. Zugleich brauchen wir aber auch viele engagierte Menschen in zivilgesellschaftlichen Gruppen wie Fridays for Future oder in Parteien, die Ökologie und Menschenrechte vertreten. Menschen, die ihre Stimme erheben, in Leserbriefe, bei Veranstaltungen, in Diskussionen am Stammtisch, am Arbeitsplatz usw. Auch die finanzielle Unterstützung von Umwelt- und Menschenrechtsgruppen stärkt das anwaltschaftliche Engagement von zivilgesellschaftlichen Initiativen. Wie das geht, zeigt anschaulich die Broschüre „Was unsere Demokratie jetzt braucht“ eines NGO-Bündnisses „demokratielebt“

Zum Schluss möchte ich Ihnen die Geschichte vom „Seesterne retten“ erzählen und neu interpretieren. Um deutlich zu machen, dass jeder und jede zu den im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gebotenen Veränderungen beitragen kann und dass jede Handlung in die richtige Richtung, so klein sie sein möge, wichtig ist, wird gerne diese Geschichte vom „Seesterne retten“ erzählt. Ein Kind wirft Seesterne, die ein Sturm an den Strand gespült hat, wieder zurück ins Meer. Ein vorbeikommender Erwachsener sagt zum Kind: „Was du da machst, ist vollkommen sinnlos. Siehst du nicht, dass der ganze Strand voll von Seesternen ist. Was du da tust ändert nicht das Geringste.“ Das Kind schaut den Erwachsenen einen Moment lang an, dann hebt es den nächsten Seestern auf und sagt zum Mann „Für ihn wird es etwas ändern!“.

Die Geschichte wirkt beeindruckend und macht Mut. Es hat einen Sinn, selbst anzupacken, auch wenn die Aufgabe aufgrund ihrer Größe kaum bewältigbar und die Wirkung der eigenen Handlung beinahe aussichtslos erscheint. So die vermittelte Botschaft. Auf den zweiten Blick ist jedoch zu fragen, ob die Sache wirklich so eindeutig ist. Ob an dem Argument des Erwachsenen nicht doch etwas dran ist. Ich würde sogar noch weitergehen und fragen, ob es überhaupt Aufgabe des Kindes ist, die Seesterne zu retten. Keine Frage: Die Antwort des Erwachsenen ist pädagogisch gesehen völlig falsch, da abwertend und demotivierend. Vielmehr hätte der Erwachsene weiterführende Fragen stellen müssen. Etwa: Wie könnte es uns gelingen, mehr Menschen zu gewinnen, um die Aufgabe zu lösen? Oder: Gibt es technische Hilfsmittel, um die Seesterne wieder ins Meer zurück zu befördern? Und in die Zukunft fragen: Wie können wir die Katastrophe beim nächsten Mal verhindern – etwa durch einen Damm? Und auf die möglichen Ursachen des Unwetters bezugnehmend: Könnte es sein, dass der Sturm, wenn er kein Einzelereignis ist, sondern immer häufiger aufkommt, mit dem vom Menschen gemachten Klimawandel zusammenhängt? Und was wäre dann zu tun, um diesen Klimawandel einzudämmen?

Bildung heißt wesentlich, Fragen zu stellen. Und dieses „Fragen stellen“ muss sich auf die Ursachen von Problemen und Herausforderungen ebenso beziehen wie auf das Finden der adäquaten Lösungen und wer hier für was zu verantworten und damit auch beizutragen hat.

„Die Angst, der Zorn und die Hoffnung der Bedrohten schaffen unaufhörlich Unruhe. Das ist ein andauerndes und weit umfassenderes Phänomen als die bisherigen Revolutionen. Ich nenne es Menschenbeben.“ So Robert Jungk 1983 in seinem gleichnamigen Buch „Menschenbeben. Der Aufstand gegen das Unerträgliche“ über die Friedens- und Protestbewegung gegen das atomare Wettrüsten in den 1980er-Jahren. Auch heute gibt es viele Dinge in der Welt, die nicht im Lot sind und solche Menschenbeben brauchen. In diesem Sinne gratuliere ich den jungen Menschen von Fridays for Future, weil sie sich nicht in ihr Schicksal fügen, sondern die Verantwortung von Politik, Wirtschaft und uns allen als Bürger und Bürgerinnen einfordern.

Mehr zum Thema und weiterführende Quellen:

Holzinger, Hans (2018): Klimapolitik am Prüfstand. Das Pariser Klimaschutzabkommen, Handlungsfelder der Klimapolitik und die Bedingungen gesellschaftlicher Transformation. Wien/Salzburg. Download

Holzinger, Hans (2020): Vom Umweltwissen zum Umwelthandeln. Gelingensfaktoren und Barrieren für gesellschaftlichen Wandel im Kontext von
Bildung für nachhaltige Entwicklung. Im Erscheinen.

Mag. Hans Holzinger ist als Wirtschafts- und Sozialgeograph seit 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter und pädagogischer Leiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Nachhaltiges Wirtschaften, Zukunft der Arbeit und sozialen Sicherung, neue Wohlstandsmodelle, Transformationsprozesse. Er ist Moderator von Zukunftswerkstätten, Mitherausgeber des Magazins „ProZukunft“ und Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschienen: „Wie wirtschaften? Ein kritisches Glossar“ (2018), „Von nichts zu viel – für alle genug“ (2016).

Foto: Christina Repolust

Kontakt: hans.holzinger@jungk-bibliothek.org