Wohnen wird in Zukunft mehr sein, als in seinen vier Wänden zu hausen. Wir brauchen resiliente Gemeinschaften und eine Wiederbelebung von Nachbarschaften. Wie ökologisches Bauen mit einem neuen Miteinander zusammengehen, zeigt das Projekt Vauban seit knapp 25 Jahren.
Bunte mehrstöckige Häuserzeilen, eingebettet in großzügige Gärten mit Sträuchern, Bäumen und viel Platz zum Spielen für Kinder – so lässt sich das nachhaltige Stadtviertel „Vauban“ in Freiburg charakterisieren. Auf einem ehemaligen Kasernengelände der französischen Streitkräfte entstand auf einer Fläche von insgesamt ca. 41 Hektar das innenstadtnahe Quartier. Ein attraktiver, familienfreundlicher Stadtteil für ca. 5.300 Einwohner und Einwohnerinnen, in dem Bürgerengagement, Gemeinschaftsbildung und umweltbewusstes Leben groß geschrieben werden.
Baugruppen waren aufgerufen, nachhaltige Projekte einzureichen und zu verwirklichen. Die ersten Bauparzellen wurden 1998 vergeben, in den Folgejahren wuchs das Wohnareal ständig an. Niedrigenergiebauweise war verpflichtend, Passivbauweise, Plusenergiebauweise und der Einsatz von Solartechnik sind für viele Bauten Standard. Entstanden ist ein Vorzeigestadtteil, der vermittelt, wie Wohnen und Leben in der Stadt der Zukunft aussehen könnte. Energie wird durch Sonnenenergie und aus einem eigenen Blockheizraftwerk gewonnen, Regenwasser für die Gärten gesammelt.
Das Wohngebiet ist verkehrsberuhigt. Ein großer Teil der Haushalte ist autofrei, ein Großteil der privaten Fahrzeuge wird in einer der beiden Quartiersgaragen abgestellt. Seit 2006 ist das Wohngebiet durch die Stadtbahn erschlossen. Die Straßenbahn fährt im Fünf-Minuten-Takt. Selbstverständlich gibt es auch E-Autos zum Leihen. Viele Menschen verzichten daher auf das eigene Auto und nutzen den ÖPNV, das Fahrrad und – bei Bedarf – die Carsharing-Angebote „stadtmobil“ und die „Grüne Flotte“. Mit gut 200 PKW auf 1.000 Einwohner und Eiinwohnerinnen liegt die Privatauto-Dichte Vaubans bei der Hälfte des Freiburger Durchschnittswert von 400 und deutlich unter dem Wert anderer Städte.
Bunte Fassaden und viel Grün
Schlendert man durch die Häuserzeilen, fühlt man sich mit allen Sinnen angesprochen. Bunte Fassaden, viel Grün, kaum Zäune, dafür viel Platz zum Verweilen in den Freizonen, überall Kinder, die vor den Häusern spielen. Der alte Baumbestand wurde weitestgehend erhalten. Die Grünflächen zwischen den Häuserreihen sorgen für gutes Klima und bieten „Natur-Aufenthaltsräume“ für alle Generationen. Parallel mit der privaten Erschließung ist die Infrastruktur mit einer Schule, Kindergärten, Angeboten zur offenen Kinder- und Jugendarbeit, einer bürgerlichen Begegnungsstätte, einem Marktplatz sowie Freizeit- und Spielflächen entstanden. Begrünte Flachdächer speichern einen Teil des Regenwassers, das gesammelt und zurückgehalten wird. Am wöchentlichen Bauernmarkt gibt es frische Lebensmittel aus der Region, im „WandelGarten“ ziehen Bewohner und Bewohnerinnen eigenes Gemüse. Neben attraktivem Wohnraum wurden mehrere hundert neue Arbeitsplätzte geschaffen, berichtet Thomas Fabian vom Stadtplanungsamt Freiburg.
Eine Pointe am Rande: Das mit viel Eigen-Engagement errichtete „Bürgerhaus“ mit eigenen Veranstaltungssälen, sozialen Einrichtungen und Initiativen-Treffs sowie einem Restaurant wurde im ehemaligen Offizierskasino untergebracht. Als beliebter Treffpunkt gilt auch das angrenzende Eis-Café Limette sowie das Bio-Cafe „5 Senses“, in dem veganer Kuchen und Eisspezialitäten serviert werden. Der Stadtteilverein Vauban gibt eine vierteljährlich erscheinende Zeitung heraus, betreut eine ein Mal in der Woche geöffnete Stadtteilbücherei und organisiert verschiedene Veranstaltungen. „Alle größeren, hier aktiven Vereine berichten in unserem Stadtteilmagazin ‚Vauban actuel’ regelmäßig über ihre Arbeit und Angebote. Die Quartiersarbeit lädt dreimal pro Jahr die gemeinnützigen Vereine und sozialen Einrichtungen zum Treffen des Beirats der Quartiersarbeit ein, der den Informationsaustausch und die Vernetzung fördern soll“, erzählt Reinhild Schepers vom ehrenamtlich tätigen Stadtteilverein. Fachleute unterschiedlichster Bereiche sowie Schulklassen besuchen den Stadtteil und erhalten Führungen, ist der Jubiläumsausgabe Nr. 100 des Magazins zu entnehmen. Bei meinem Rundgang stieß ich auf eine Gruppe aus Indien.
Auch der Name des neuen Stadtteils birgt eine gewisse Ironie. Sebastian le Prestre de Vauban war ein französischer Militärbaumeister unter König Ludwig dem XIV, der im späten 17. Jahrhundert, als Freiburg wieder einmal Frankreich zugeschlagen war, die Befestigungsanlagen der Stadt errichten ließ. 1744 wurde diese wiederum bei einer Belagerung durch französische Truppen zerstört. Die französische Armee, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Freiburg verblieb, gab dem Kasernenareal den Namen Vauban. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren im Freiburger Stadtteil Vauban, der an den Militärbaumeister erinnert, viele Baumeister und Baumeisterinnen tätig, die keine Festungen, sondern wunderbare Wohnmöglichkeiten geschaffen haben.
Wer wohnt in dem Modellstadtteil?
Es sind wohl vor allem junge Familien aus der Mittelschicht mit Anspruch auf eine ökologische Bau- und Lebensweise. Laut Statistikamt Freiburg betrug das Durchschnittsalter 2019 – so die aktuell verfügbaren Zahlen – knapp 35 Jahre, die unter 18-Jährigen machen heute 20 Prozent aus. „In den Anfangsjahren lag der prozentuale Anteil von über 45-Jährigen bei ca. 7 Prozent, der unter 18 Jahre im Quartier lebenden Kinder und Jugendlichen bei ca. 30 Prozent. Dies hat sich in der Zwischenzeit geändert, der Stadtteil ist also auf jeden Fall älter geworden. Gleichwohl leben im Quartier immer noch sehr viele junge Familien mit kleinen Kindern“, berichtet Thomas Fabian vom Stadtplanungsamt Freiburg. Mit 13 Prozent ist auch der Ausländerteil eher gering. Er beträgt in Freiburg im Durchschnitt 17 Prozent. Hoch ist der Grünwähleranteil, der bei 30 bis 50 Prozent liegt – bei der Landtagswahl 2016 gaben gar 61,2 Prozent den Grünen ihre Stimme – ein Spitzenwert, der danach nicht mehr erreicht werden konnte.
Einen Hauch von Hausbesetzerszene vermitteln einige Gebäude am Eingang zum Areal: Vier der alten Mannschaftsgebäude wurden tatsächlich „besetzt“, diese wurden von der „Selbstbestimmten Unabhängigen Siedlungsinitiative“ S.U.S.I vom Bund angepachtet und mit viel Eigenarbeit zu Groß-WGs für preiswertes Wohnen umgebaut. Hierbei handelt es sich um ein eigenständiges Wohnprojekt, so Thomas Fabian. Vom Studentenwerk wurden weitere sechs ehemalige Mannschaftsgebäude für studentisches Wohnen langfristig hergerichtet.
Passend zum Stadtteil findet sich im Areal auch das „Sonnenschiff“ sowie eine Solarsiedlung mit 59 Häusern im Plus-Energie-Standard des Freiburger Architekten Roland Disch. Das Sonnenschiff schirmt als Dienstleistungs- und Gewerbeobjekt die dahinterliegenden Wohnanlagen ab. Beide Objekte erzeugen mehr Energie, als sie verbrauchen. Die Idee des Solarpioniers war es zudem, Arbeiten, Wohnen und Freizeit wieder näher zu verbinden – im Sinne der kurzen Wege. Und auch das Green City Hotel am Eingang zum Nachhaltigkeitsstadtteil Vauban passt sich bestens in das Ambiente ein. Das Hotel, das auch für Tagungen zur Verfügung steht, punktet nicht nur mit regionalen Lebensmitteln, einer energiesparenden Bauweise sowie dem weitgehenden Verzicht auf Einmal-Packungen, sondern auch durch die für ein gutes Mikro-Klima sorgende Grün-Fassade.
Aushängeschild der Ökostadt Freiburg
Der seit Ende der 1990er-Jahre entstandene Öko-Stadtteil Vauban steht für die Öko- und Studierendenstadt Freiburg, die mit den Protesten gegen das AKW Whyl zu einem Zentrum der deutschen Umweltbewegung der 1970er-Jahre wurde und von 2002 bis 2018 einen grünen Bürgermeister hatte, seither einen parteilosen. Freiburg beherbergt das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme und ist bekannt durch das Öko-Institut, für das Roland Disch das legendäre Heliotrop, ein sich der Sonne nachdrehendes Gebäude, errichtet hat.
Die Stadt hat hehre Ziele: Seit 2008 bezieht die Stadtverwaltung keinen Atomstrom mehr für ihre Gebäude und die Straßenbeleuchtung. Bekannt ist Freiburg als Radlerstadt: 400 Kilometer Länge zählt das Radwegenetz, über ein Drittel der innerstädtischen Wege werden mit dem Rad zurückgelegt. Rund weitere 16 Millionen Euro sollen in den nächsten Jahren in den Fuß- und Radverkehr investiert werden – das bisher größte Investitionsprogramm der Stadt. Auch das Angebot des Öffentlichen Verkehrs kann sich sehen lassen – Straßenbahnen bringen in alle Stadtteile, ergänzt um ein Bussystem. Das Mitnehmen von Fahrrädern ist selbstverständlich, ein „Sozialticket“ um 25 Euro soll den Öffentlichen Verkehr auch für Personen mit geringem Haushaltseinkommen leistbar machen. Bereits 1995 wurde Freiburg mit dem Europäischen Nahverkehrspreis“ ausgezeichnet. E-Mobilität wird nicht abgelehnt – so ist der stadteigene Fuhrpark mittlerweile überwiegend auf E-Mobile umgestellt -, aber auch nicht favorisiert, da Elektroautos ebenfalls viel Platz beanspruchen und Ressourcen verbrauchen, ist auf der Homepage der Stadt zu lesen. Vauban gilt als Vorzeigeprojekt der Solarstadt, das durchaus zur Nachahmung anregen kann. Voraussetzung ist freilich, dass die Kommune über entsprechende Flächen verfügt.
„Lernende Planung“ erfordert Mut aller Beteiligten
Freiburg verfügt über viel Erfahrung in der Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen bei Bauvorhaben. Carsten Sperling bildete als frisch gebackener Umweltingenieur gemeinsam mit einem Kulturwissenschaftlerin, einem Stadtplaner, einem Geographen, einem Physiker mit Schwerpunkt Energietechnik ein interdisziplinäres Büroteam, welches mit dem ehrenamtlichen Verein Forum Vauban das Projekt Ende der 1990er Jahre vorantrieb. Er spricht von „Lernender Planung“, die gemeinsam mit den Ehrenamtlichen stattfand: „Die Besonderheit der Erweiterten Bürgerbeteiligung nach Freiburger Modell war und ist, dass ein Bürgerverein als Partner der Stadtverwaltung die Trägerschaft des umfassenden Beteiligungsverfahrens übernimmt.“ Es brauchte Offenheit und Mut zu Neuem. Sperling dazu: „Wichtig war nicht, dass jede Baugruppe einen bestimmten Katalog des nachhaltigen Bauens eins zu eins umsetzte. Vielmehr war entscheidend, dass es mit den 15 Baugruppen im ersten Bauabschnitt und mehr als 50 weiteren Gruppen in den Folgeabschnitten eine Vielzahl unterschiedlicher Wege zur Verwirklichung individueller und gemeinschaftlicher Wohnwünsche gab.“ Es wurde keine Ökosiedlung vom Reißbrett hochgezogen, sondern es wurden unter Berücksichtigung ökologischer Gesichtspunkte einfach viele Wohnträume verwirklicht, so der Vauban-Pionier. Neben den Baugruppen, die offensichtlich schnell zum Selbstläufer geworden waren, galt es aber auch, die öffentlichen Räume, das innovative Verkehrs- und Fernwärmekonzept partizipativ mit der Stadtverwaltung umzusetzen. Das erfordere Lernbereitschaft und Vertrauen aller Beteiligten, so Sperling: „Politik und Verwaltung geben zum Teil ihren Lenkungsanspruch zugunsten eines kreativen und zumindest partiell unvorhersehbaren Prozesses ab. Bürgergruppen hingegen sind gefordert, auch die Umsetzung ihrer Vorschläge und Ideen aktiv mitzugestalten und mitzutragen.“ Es gehe darum, die Synergien zwischen Akteuren zu nutzen, die unterschiedlich aufgestellt sind, um deren jeweilige Stärken zur Entfaltung zu bringen. Auch Thomas Faber von der Freiburger Stadtplanung sieht den Erfolg des Projekts in der intensiven Beteiligung von Bürgern und Bürgerinnen, im städtebaulichen Entwicklungskonzept – die Stadt Freiburg kaufte das Areal vom Bund und war somit Eigentümer – sowie in den anspruchsvollen Umweltstandards.
Iris Kunze von der BOKU Wien, die eine Studie über das innovative Projekt geleitet hat, bestätigt den Erfolg, der auch nach über 20 Jahren anhält: „Das vielfältige Patchwork aus Baugruppen und Genossenschaften ist wohl (noch) einmalig in Deutschland und darüber hinaus.“ Der Tourismus von Planern und Planerinnen aus der ganzen Welt beweise die Innovationskraft des Quartiers Vauban – im Bereich ökologischer Siedlungsbau, autofreies Wohnen und vor allem auch in Sachen sozialer Innovationen wie nachbarschaftliches Miteinander und zivilgesellschaftliche Selbstorganisation. Vauban lädt in der Tat zur Nachahmung ein. Nicht logisch begründbar sei daher, so Kunze, „dass trotz internationaler Popularität die Stadt Freiburg das autoreduzierte Konzept nicht auf die neu geplanten Stadtteile überträgt.“ Denn: Wenn wir nachhaltige, lebenswerte Städte erreichen wollen, dann müssen Pionierprojekte ihre Nische verlassen und zu neuen Standards der Städteplanung führen. Autoreduzierte Wohnanlagen haben Zukunft bei einer jungen urbanen Generation, die immer weniger auf ein eigenes Auto setzt, begrünte Städte finden wohl alle attraktiv – ob jung oder alt.
Text und Fotos: Hans Holzinger, hans.holzinger@jungk-bibliothek.org

Bildtext 1: Bauen mit dem nachwachsenden Rohstoff Holz

Bildtext 2: Flächensparendes Wohnen im Verbund mit großzügigen Gartenanlagen

Bildtext 3: Stadtteilzentrum und Bürgerhaus im ehemaligen Offizierskasino

Bildtext 4: Kreative Freiraumgestaltung mit Begegnungsinseln

Bildtext 5: Autofreies Wohnen wird großgeschrieben – es gibt nur ganz wenige Parkflächen

Bildtext 6: Carsharing-Angebot „stadtmobil“

Bildtext 7: Green City Hotel Vauban mit Fassadenbegrünung

Bildtext 8: Plusenergie-Gebäude „Sonnenschiff“ mit Gewerbe- und Wohnflächen

Bildtext 9: Neben dem wöchentlichen Bauernmarkt gibt es zahlreiche Angebote im Quartier

Bildtext 10: Zu Wohnraum umgebaute Kasernen der „Selbstorganisierten Unabhängigen Siedlungsinitiative“