Von Hans Holzinger

„Morgen ist es zu spät“ – lautete das Motto des weltweiten Klimastreiks der jungen Aktivistinnen und Aktivisten. Doch sehen das beileibe nicht alle so. Für den Wintertourismus gibt es heuer wieder einmal genügend Schnee, die letzten Hochwasser sind eine Weile her. Es sind andere Themen, die die Menschen derzeit verunsichern und bewegen: die Teuerung, die Inflation und der Ukraine-Krieg. Aktuelle Wahlergebnisse sowie die „Zukunftsrede“ des österreichischen Bundeskanzlers, der vor Klimahysterie warnte, bestätigen dies. Die Klimakrise droht in den Hintergrund zu treten, auch wenn es unmittelbare Zusammenhänge gibt und verstärkte Klimamaßnahmen überfällig sind. Wir brauchen neue Antworten.

In einer Radiosendung anlässlich des weltweiten Klimastreiks, an der ich als Mitglied der Scientists for Future mitwirken durfte, wurde mir bewusst, dass noch viel zu tun. Nicht nur seitens der Politik, sondern auch hinsichtlich Wahrnehmung der Klimakrise. Ein Anrufer meinte, die „linke Klimabewegung“ sollte einmal etwas für die Menschen tun, nicht nur für das Klima. Ein zweiter sah das Problem bei der EU, die uns alles vorschreibe, zum Beispiel das Aus des Benzinmotors. Der dritte Anrufer bekräftigte zwar, dass er die Klimabewegung unterstütze, aber ihn störe, dass die Demonstrierenden ihren Müll nicht wegräumen würden. Der vierte fürchtete um die Arbeitsplätze in der Autoindustrie. Die einzige Frau, die sich zu Wort meldete, bekundete ihre volle Unterstützung und plädierte für noch mehr Aufklärung. Ihr konnte ich gerne zustimmen. Ich lernte aber in der Diskussion, dass Menschen sehr Unterschiedliches bewegt und dass sich dies mit den Aufmerksamkeitswellen der Medien rasch ändern kann.

Mein Hinweis, dass ökologische und soziale Fragen nur gemeinsam angegangen werden können und wir eine fairere Verteilung des Erwirtschafteten brauchen, weil dies Spielräume für Klimaschutz eröffne und die Reicheren nachgewiesenermaßen am meisten Treibhausgase ausstoßen, mag vielleicht angekommen sein. Dass wir mit weniger Erwerbsarbeit auch gut leben könnten, eine andere Verteilung vorausgesetzt, war schon schwieriger zu argumentieren. Dass es der Klimabewegung wie der Klimaforschung um uns Menschen geht, da eben unsere Lebensgrundlagen auf dem Spiel stehen, ist offensichtlich in einer Zeit der Teuerungen schwerer zu vermitteln. Nun sind vier Anrufer bei einer Radiosendung nicht repräsentativ, Umfragen konstatieren dem Klimaschutz noch immer hohe Zustimmungswerte. Aber Stimmungen können schnell umschlagen, durch andere Probleme überlagert werden. Dies ist in der Klimakommunikation zu berücksichtigen.

Es ist noch viel zu tun – Mehrheiten sind nicht immer leicht zu finden

Ölkonzerne machen satte Gewinne, solange wir fossile Energien kaufen. Und auch Putins Kriegskasse wird weiterhin gefüllt. Das Centre for Research on Energy und Clean Air (CREA) geht davon aus, dass Russland trotz Sanktionen noch immer 640 Millionen Euro täglich mit dem Verkauf von Erdöl einnimmt. In den Monaten September bis November waren es noch knapp 800 Millionen gewesen. Dazu kommen die Gewinne aus Erdgas und Kohle.[1] Fossile Strukturen werden auch weiterhin durch Subventionen gestützt, auch wenn die Investitionen in die Energiewende steigen. Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts im Auftrag des österreichischen Klimaministeriums werden fossile Strukturen noch immer mit 4,1 bis 5,7 Mrd. Euro subventioniert – am meisten im Bereich des Verkehrs, auf den bis zu zwei Drittel der fossilen Förderungen fallen. Neben der Nichtbesteuerung von Flugbenzin spielen hier das Pendlerpauschale, eine heilige Kuh, Kilometergeldregelungen sowie Dienstwägen-Begünstigungen eine wichtige Rolle. Die Studie spricht von „klimakontraproduktiven Subventionen“.[2] Mehrheiten für Änderungen sind hier schwer zu gewinnen. Das gilt wohl auch für weitere Tempobegrenzungen. Obwohl 80 km/h auf Landstraßen und 100 km/h laut Umweltbundesamt[3] 23 Prozent CO2-Einsparungen bringen, zudem den Autofahrern Kosten sparen und die Unfallgefahr verringern würde, sind auch dafür wohl derzeit keine Mehrheiten zu gewinnen. Doch unmöglich ist so etwas nicht, wie Norwegen, Finnland, Schweden und die Niederlande zeigen, bei denen auf Autobahnen sowie Landstraßen niedrigere Tempogrenzen gelten – Länder, die übrigens auch merklich weniger Verkehrstote verzeichnen.[4] Während in Finnland und Schweden 8-10 Verkehrstote pro 1.000 km Autobahn zu beklagen sind, ist die Zahl in Österreich doppelt so hoch. Da beruhigt nicht, dass andere Länder noch höhere Todeszahlen haben.[5]

Land Salzburg hat ambitionierte Ziele – noch sind wir weit davon entfernt

Der Zielpfad der aktuellen Klima- und Energiestrategie 2050 des Landes Salzburg sieht eine Halbierung der Treibhausgase bis 2030 gegenüber 2005 vor. Der Anteil der erneuerbaren Energien soll auf 65 Prozent gehoben werden.[6] Im Gebäudebereich wurden in den letzten Jahren Treibhausgaseinsparungen erzielt, die weitere Zunahme im Bereich Verkehr hat diese aber mehr als aufgesogen. Eine Studie im Auftrag des Landes Salzburg fordert daher massive Veränderungen im Verkehrsbereich – die Treibhausgase sollten, um die gesteckten Reduktionsziele zu erreichen, bis 2030 gegenüber 2016 um 50 Prozent gesenkt werden.[7] Ein Ziel, dass mit ein paar Elektroautos mehr – 83.000 sollen es bis 2030 sein – und mit dem weiteren Ausbau des öffentlichen Verkehrs allein mit großer Wahrscheinlichkeit weit verfehlt wird. So wie die Einsparziele für 2020 nicht erreicht wurden, wird es wohl auch den hehren Zielen für 2030 ergehen – außer wir legen an Tempo zu.

Klimaneutralität strebt das Land Salzburg bis 2050 an. Die Klimabewegung fordert Klimaneutralität bis 2040 – wie dies die österreichische Bundesregierung festgelegt hat. Ohne drastische Veränderungen werden aber wohl beide Ziele verfehlt werden. Gefordert ist mehr Mut der Politik, den Menschen reinen Wein einzuschenken, zu sagen, was Sache ist. Denn neue Angebote und Anreize sind wichtig, sie allein führen aber noch nicht zum veränderten Verhalten – das ist ein Trugschluss. Wir brauchen auch eine Verschiebung der Wertesysteme und andere Zukunftsbilder eines klimaverträglichen Lebens. Aus der Transformationsforschung wissen wir, dass Verhaltensänderungen nur umgesetzt werden können, wenn diese mit der nötigen Ernsthaftigkeit vermittelt werden und diese alle zu gerechten Anteilen treffen.[8] Daher müssen wir auch die Hürden der Veränderung reflektieren.

Was macht Klimapolitik schwierig?

Esgibt strukturelle und psychologische Hürden für eine wirksame Klimatransformation.Eineerste Hürdeliegt im sogenannten Gefangenendilemma. Nur wenn alle mittun (müssen), haben wir Erfolg – das gilt für nationale Gesellschaften ebenso wie für die Welt insgesamt. Weltweit werden aktuell über 50 Mrd. t THG im Jahr ausgestoßen, wenn sich nichts ändert, wäre das Klimabudget bereits in 10 Jahren aufgebraucht, wie der Meteorologe Sven Plöger vorrechnet.[9] Österreich macht mit seinen 8 Millionen Einwohner:innen etwa ein Tausendstel der Weltbevölkerung aus. Mit den durchschnittlichen Pro-Kop-Emissionen von 9 Tonnen macht das weniger als 2 Tausendstel der globalen Emissionen aus. Das Argument „Was können wir schon ausrichten?“ ist also nicht von der Hand zu weisen. Ja, es müssen alle Staaten nach ihren aktuellen Emissionsniveau ihren Beitrag leisten. Aber problematisch ist die Ausrede, dass wir erst warten, bis die anderen etwas tun. Wir brauchen Pioniere mit Vorbildwirkung, die zeigen, dass der Wandel möglich ist. Ein Beispiel ist wiederum Schweden, das schon früh eine CO2-Steuer eingeführt hat. Wir brauchen eine Positivspirale nach oben mit neuen Technologien und neuen Ökoroutinen.

Die zweite Hürde bezieht sich auf die Gefahrenwahrnehmung: CO2 sieht man nicht, man riecht es nicht, es stinkt nicht. Warum soll es gefährlich sein? Das Projekt Carbon Visuals[10] versucht dem abzuhelfen, in dem die Tonnen CO2, die wir tagtäglich ausstoßen, in großen schwarzen Kugeln dargestellt werden. Für meine Vorträge mache ist das anschaulich: 10 Tankfüllungen oder 1 t Kunstdünger sind etwa eine Tonne CO2-Äqivalente, ein Flug München – New York sind mehr als 2 Tonnen, der durchschnittliche Fleischkonsum in Österreich macht ca. 1,4 Tonnen aus.[11] Die pro Kopf-Emissionen betragen in Österreich aktuell durchschnittlich 9 Tonnen –2 Tonnen stünden uns zu, wenn das aktuele CO2-Budget auf alle gerecht verteilt würde. Klimaneutralität würde eine Reduktion auf beinahe Null Emissionen bedeuten, da die CO2-Senken begrenzt sind.[12] Die Extremwetterlagen nehmen zwar zu und wir spüren diese auch, aber dennoch bleibt das Klimathema etwas Abstraktes. Physikalische und ökosystemische Prozesse sind schwer vermittelbar, drohende Kippunkte ebenso. Anders als die Pandemie wird die Klimakrise – von den wenigen Besorgten einmal abgesehen – noch immer nicht als gefährlich eingestuft.[13]

Bystander-Effekt – So schlimm kann es nicht sein, wenn alles normal weitergeht

Damit hängt die dritte Hürde zusammen: Neben Ausreden und Verdrängen überwiegen noch immer Verharmlosungen sowie der Gewöhnungseffekt – alles allzu menschlich. Weder die Politik noch die Bürger und Bürgerinnen haben den Ernst der Lage tatsächlich realisiert. Wir stehen lange nicht mehr am Anfang, was die Diskussionen über die Klimakrise anbelangt, aber noch immer, was die Maßnahmen betrifft – die Emissionen gehen weiter nach oben, auch in Österreich. Lediglich die Finanzkrise 2008 und die Pandemie 2020 haben kurzfristige Rückgänge gebracht. Das Dilemma: Wir reden zwar über die Klimakrise, aber alles nimmt weiter normal seinen Lauf:Menschen fliegen weiter auf ferne Inseln, das Auto ist weiterhin das zentrale Verkehrsmittel, auch die Formel 1-Rennen finden weiterhin ungestört statt. Die Reaktion der Mehrheit darauf: „Dann kann es ja nicht so schlimm sein?“ Oder: „Mit Technik kriegen wir das schon hin“. In der Psychologie spricht man vom Bystander-Effekt. Lea Dohm und Mareike Schulze von den Psychologists for Future beschreiben es wie folgt: „Die Gefahr ist furchtbar und riesig, aber weil die Welt um uns herum scheinbar normal verläuft, bleiben wir ruhig.“[14]

Eine vierte Hürde besteht in der Trägheit menschlichen Verhaltens. Veränderung erfordert eine gewisse Energieanstrengung. Wir wollen auf bisher gelebte Verhaltensweisen und Routinen ungern verzichten. Nur wenn das klimafreundliche Verhalten zur Norm wird, hohes Ansehen genießt und auch die Rahmenbedingungen stimmen, kommt es zum Wandel. Das heißt, wir brauchen mehr Radwege, guten und leistbaren Öffentlichen Verkehr, ein Ende der Zersiedelung, ein Schrumpfen der Straßen und Parkflächen, den Aufbau dezentraler Energieversorgungsstrukturen, die Bildung von Energiegemeinschaften, neue Vorschriften für die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie. Wir brauchen aber auch neue kollektive Werte – blame and shame für klimaschädliches, Lob und Anerkennung für klimafreundliches Verhalten. Sowie Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt sein darf, kann klimaschädliches Verhalten in Zukunft nicht mehr toleriert werden.

Die Rolle der Klimabewegungen liegt im Agenda-Setting

Laut Emission Gap-Report des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) besteht bezogen auf die bisher gesetzten und für die von den Staaten zugesagten Maßnahmen eine Lücke von 15 Mrd. t CO2e für das 2 Grad-Ziel, von 23 Mrd. tCO2e für das 1,5 Grad-Ziel.[15] Wir liegen also weit daneben. Die Klimabewegungen weisen auf die Dringlichkeit der Lage hin und erinnern die Politik sowie uns als Bürer und Bürgerinnen daran, dass wir umgehend handeln müssen. „Morgen ist es zu spät“ – lautete das Motto das weltweiten Klimastreiks am 3. März 2023, an dem sich Hundertausende an besorgten, großteils jungen Menschen beteiligt haben. Wir müssen als Gesellschaft begreifen, dass große Veränderungen anstehen. Dazu brauchen wir neue Technologien – diese werden immer besser, da bin ich zuversichtlich. Dazu brauchen wir aber auch neue Routinen: weg vom Auto und von der Fliegerei, die Bereitschaft zu wärmegedämmten Häusern und Solaranalgen auf allen Dächern, die Akzeptanz von Windrädern, wo es Wind gibt. Wir brauchen aber auch eine Drosselung des Energiehungers, eine „Energieverbrauchsbremse“[16], neue Ernährungsgewohnheiten, weniger Fleisch, dafür besseres, mehr Gemüse, was auch gesünder ist, Respekt vor all jenen, dies sich vegetarisch oder vegan ernähren. Und insbesondere brauchen wir neue Bilder von einer Wirtschaft, die uns wieder das produziert, was wir wirklich brauchen, und die auch funktioniert ohne permanentes Wachsen-Müssen. Staatshilfen aufgrund der aktuellen Teuerungen sollen jene erhalten, die tatsächlich Bedarf haben. Die Verteilung nach dem Gießkannenprinzip an alle Haushalte und Unternehmen hat, wie nun argumentiert wird, nicht nur die Inflation mitbefeuert, sondern auch wenige Anreize gegeben, den Energieverbrauch tatsächlich zu senken. Klimasoziale Politik hilft jenen, die Unterstützung brauchen, hat aber den Mut, auch klar zu sagen, dass es Haushalte mit einem für ein nachhaltiges Leben zu hohem Einkommen gibt – beginnend bei den Ultrareichen bis hin zum gehobenen Mittelstand. Mehrheiten dafür zu finden, braucht eine offene Diskussion darüber, was in Zukunft an Umweltverbrach noch möglich ist und was nicht!

Hans Holzinger ist Senior Adviser der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, Mitglied von Scientists for Future Salzburg und des Fachkollegiums von Scientists for Future Austria. http://www.hans-holzinger.org. Fotos: Holzinger

Grafiken:


[1] https://www.rnd.de/wirtschaft/eu-oelboykott-wirkt-russlands-einnahmen-brechen-ein-laesst-sich-putins-krieg-so-stoppen-P46WS4IWEVAVJLSOSKB7M7VWQE.html

[2] https://www.bmk.gv.at/themen/klima_umwelt/klimaschutz/nat_klimapolitik/kontraproduktiv.html#:~:text=Im%20Durchschnitt%20der%20letzten%20Jahre,knapp%20%C3%BCber%204%20Milliarden%20Euro

[3] https://www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/mobilitaet/mobilitaetsdaten/tempo

[4] https://vcoe.at/presse/presseaussendungen/detail/vcoe-in-vielen-laendern-europas-niedrigere-tempolimits-aber-hoehere-strafen-fuer-schnellfahren.

[5] https://de.statista.com/infografik/16765/todesrate-auf-europaeischen-autobahnen-je-1000-km-autobahn/

[6] https://www.salzburg.gv.at/umweltnaturwasser_/Seiten/salzburg2050.aspx

[7] https://www.salzburg.gv.at/umweltnaturwasser_/Documents/MasterplanKlimaEnergie2030.pdf, Grafik S. 12

[8] Hans Holzinger: Wann lernen Gesellschaften? Salzburg: JBZ-Arbeitspapier 2020. https://jungk-bibliothek.org/wp-content/uploads/2020/04/ENDTEXT-JBZ-AP-49-Holzinger.pdf S. 23ff.

[9] Sven Plöger: Zieht euch warm an, es wird heiß! Den Klimawandel verstehen und aus der Krise für die Welt von morgen lernen. Frankfurt 2020.

[10] http://www.carbonvisuals.com/

[11] Quellen: Greenpeace, Dt. Umweltbundesamt, Universität für Bodenkultur, Atmosfair

[12] Klimaneutralität berechnet sich aus den nicht vermeidbaren Emissionen minus der Treibhausgas-Senken. Die Bilanz muss auf Null gehen. Man spricht daher von Netto-Null.

[13] Zum Vergleich beider Krisen s. Hans Holzinger: Post-Corona-Gesellschaft. Was wir aus der Krise lernen sollten. Wien 2020.

[14] Lea Dohm, Mareike Schulze: Klimagefühle. Wie wir an der Umweltkrise wachsen, statt zu verzweifeln. 2022.

[15] Emission Gap Report 2022, S. 20. file:///C:/Users/Administrator/Downloads/EGR2022.pdf

[16] Claudia Kemfert: Schockwellen. Wie Letzte Chance für sichere Energien und Frieden. München 2022.