Mit Alexander Kluge hat sich einer, der selbst den Krieg erlebt hat, mehrfach warnend zu Wort gemeldet zur trügerischen Hoffnung auf einen Sieg der Ukraine, wenn wir nur genügend Waffen schicken. Die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags und Mitbegründerin der Deutschen Grünen Antje Vollmer kritisiert nicht weniger diese Siegeseuphorie und verweist auf den in Europa noch immer bestimmenden Nationalismus. Der Berliner Tagesspiegel, der Vollmers Text veröffentlichte, zitiert Ross Douthat, Kolumnist bei der „New York Times“. Dieser bringt das Dilemma mit dem Begriff der „moralischen Asymmetrie“ auf den Punkt. Ein vollständiger Sieg über Russland sei nicht zu erwarten. Es laufe folglich auf eine Verhandlungslösung hinaus. Durch die erforderlichen Zugeständnisse aber werde der Aggressor belohnt. Was fehlt, sei eine überzeugende Alternative, in der Wort und Tat übereinstimmen und eine realistische Lageeinschätzung zu moralisch vertretbaren und praktikablen Maßnahmen führt. Darüber müsste gestritten werden. Alles andere seien Parolen. Das moralische Dilemma, dass durch Verhandlungen dem Aggressor nachgegeben wird, aber es darum gehen müsse, das Töten zu beenden, versuchte auch ich in einem Interview mit Blickunkt Zukunft darzustellen. Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung meinte, man könne und müsse die Verhandlungsbereitschaft „herbeiverhandeln“ – dies ei aussichtsreicher, als auf einen ukrainischen Sieg zu hoffen.

Zur Generation, die den Krieg selbst erlebt und dann die Friedensbewegung mitgestaltet haben, zählen auch Marianne und Reimer Gronemeyer, die mit ihrem „Manifest der Achtzigjährigen. Die Stimme der Kriegskinder zum Krieg in der Ukraine“ einen weiteren Aufruf zur Besinnung veröffentlicht haben. „Das Wort ‚Krieg‘ ist in aller Munde, und es ist beängstigend, wie geschmeidig es sich in das tägliche Sammelsurium der Nachrichten einfügt, als sei ‚Krieg‘ ein Gegenstand wie jeder andere“, so einer der ersten Sätze. Ich gebe Text hier in Auszügen wieder, weil er zum Nachdenken anregt.

„Unsere Erfahrung vom Kriegsgeschehen reicht über die Kindheitserlebnisse nicht hinaus, aber das genügt, um uns mit den getöteten, verwundeten und verängstigten Kindern in der Ukraine verbunden zu fühlen und es macht es uns unmöglich, über ihre Leiden hinwegzusehen. Je länger dieser Krieg dauert, desto mehr wird ihr Leben von ihren Kriegserfahrungen beherrscht sein, sie werden, wie wir, Kriegskinder sein. Sie haben keine Stimme, um das Schweigen der Waffen und den Weg der Verhandlungen einzufordern. Wir tun das an ihrer Statt, und wir tun es auch um unserer eigenen Angst vor einer nuklearen Eskalation willen, für die niemandes – wirklich niemandes – Vorstellungsvermögen reicht.“

„Wir fürchten uns vor den Furchtlosen, die erst den Krieg gewinnen wollen, um dann Frieden zu machen.“

„Dass sich die ‚Hoffnung‘ auf ein friedliches – wenn schon nicht Miteinander, so doch wenigstens – Nebeneinander auf immer monströsere Maschinen richtet, deren letzter Daseinszweck darin besteht, zu töten und zu zerstören, macht uns fassungslos. Um dieser pervertierten Hoffnung Geltung zu verschaffen, wird die Hoffnung auf Versöhnung als Ideologie der Schwächlinge
diffamiert. Ohne alles Bedenken, ohne Trauer, ohne entsetztes Innehalten wird in dieser ‚Zeitenwende‘ die große Tradition der Friedensstifter für indiskutabel erklärt.“

„Wir warnen: Es ist schlecht um die demokratische Zukunft eines Landes bestellt, in dem die „Wortemacher des Krieges“ (Franz Werfel), das Sagen haben. Sie nennen diejenigen, die Bedenken tragen gegen den Einsatz von immer mehr Waffen, verächtlich Zauderer; diejenigen, die Kompromisse erwägen, werden als Verräter, gebrandmarkt, die Vorsichtigen nennen sie feige, die Besorgten schwächlich und die Pazifisten traumduselig, verrückt oder gefährlich. Wirklich gefährlich ist die viel beschworene ‚Geschlossenheit‘, die alle zu Meinungskomplizen macht. Ohne Gegenstimmen, die sich auch Gehör verschaffen können, gibt es keine Demokratie. Auf eine bestürzende Weise vergehen sich die einflussreichsten Medien an ihrer Informations- und Berichterstattungspflicht und betätigen sich als Meinungsmacher und Volkserziehungsagenturen zur Herstellung der großen Einhelligkeit. Unablässig bestärken sie die Ansicht, dass das ganze Gute auf unserer Seite,
der Seite der westlichen Allianz, ist und das ganze Böse jenseits der Demarkationslinie. Versöhnung aber beginnt damit, den eigenen Anteil daran, dass es so weit hat kommen können, redlich zu erforschen und dann auch zu bekennen.“

„Wir laden alle ein – seien sie alt oder jung oder irgendwo dazwischen – die darauf bestehen, Andersdenkende zu sein und ihre Haltung im Gespräch mit Andersdenkenden immer neu auf die Probe zu stellen. Eröffnen wir das generationenübergreifende, ungegängelte Gespräch, wo immer sich Gelegenheit bietet oder herstellen lässt. Lassen wir uns von Denkverboten nicht einschüchtern, geben wir der Sehnsucht nach dem Frieden eine Stimme.“