[26. April 2016] Die politische Macht des Österreichischen Bundespräsidenten ist begrenzt. Allein deswegen war das Wahlergebnis vom Wochenende vielmehr ein Denkzettel an die bestehende Regierung als ein Votum für oder gegen eine der zur Wahl gestandenen Persönlichkeiten. Wobei das schlechte Abschneiden der Kandidaten von SPÖ und ÖVP, die in der bisherigen Geschichte der Zweiten Republik immer den Bundespräsidenten gestellt haben, den beiden äußerst redlichen Politikern nicht gerecht und wohl auch die Bundesregierung unter ihrem Wert geschlagen wurde. Das ist aber eben das Spezifische an Denkzettelwahlen. Die Warnung ist ernst zu nehmen.

Nüchtern betrachtet, steht Österreich nicht schlecht da. Sein Wohlstand ist historisch einmalig und auch im internationalen Vergleich liegt das Land ganz gut. Und doch scheint es eine große Verunsicherung in wesentlichen Teilen der Bevölkerung zu geben. Dies liegt – so meine These –, weniger am Fehlen charismatischer Politikerpersönlichkeiten, auch wenn das eine Rolle spielen mag. Vielmehr sind es strukturelle Veränderungen, die das Unbehagen schüren. Die Ausbildung des Wohlfahrtsstaats nach dem Zweiten Weltkrieg war eng gekoppelt an starkes Wirtschaftswachstum, welches es ermöglichte, Beschäftigung und Sozialleistungen auszuweiten ohne Gewinne und Einkommen der Vermögenden zu schmälern. Sinkende Wirtschaftsraten engen die Verteilungsspielräume nun ein. Bisher versuchte man dies durch höhere Schulden zu kaschieren. Die Finanzkrise von 2007, eine Folge der sich breitmachenden neoliberalen Politik, hat das ihrige dazugetan, die öffentliche Verschuldung weiter zu erhöhen und damit die Handlungsspielräume der Politik weiter einzuengen. Als drittes sind die geänderten internationalen Rahmenbedingungen zu sehen. Wohlfahrtsstaaten sind immer territorial gebunden. Sie schließen die Bürger innerhalb ihrer Grenzen ein und jene außerhalb dieser aus. Die Globalisierung der Ökonomie, die Transnationalisierung der Politik, die Zunahme der Arbeitsmigration und zuletzt die Flüchtlingsbewegungen aufgrund der sich unter Zutun des Westens verschärfenden Krisen im Nahen Osten haben dieses Konstrukt des Sozialcontainers ins Wanken gebracht. Neben den Gewinnern der Globalisierung, etwa in der High Tech-Exportwirtschaft, nehmen auch die Verlierer dieser Entwicklungen zu.

Was wären nun Auswege aus diesen Dilemmata? Ängste – ob real oder nur gefühlt – sind ernst zu nehmen. Wer dies verabsäumt, bekommt am Wahltag eben die Rechnung serviert. Entscheidend ist freilich, welche Antworten gegeben werden. Die Projektion der Ängste auf die Schwächsten, etwa Asylwerber oder Grundsicherungsbezieher, gilt als bekannte und leider immer wieder fruchtbare Strategie der Rechten. Der Realität wird sie nicht gerecht. Hilfreicher wäre es, der Ideologie der Knappheit entgegenzutreten und mit mehr Zuversicht nach vorne zu blicken. Österreich hat heute Rekordarbeitslosigkeit, aber auch Rekordbeschäftigung. Gestiegen ist nicht nur die Arbeitslosenquote, sondern auch die Erwerbsquote. Steigende Arbeitslosigkeit trotz hoher Wirtschaftsproduktivität erfordert daher eine Neuverteilung der Arbeit durch kluge, innovative Arbeitszeitmodelle. Die Einführung der 35-Stundenwoche könnte, so Berechnungen, 100.000 neue Arbeitsplätze bringen. Bei hohen Einkommen wäre diese durchaus auch ohne Lohnausgleich möglich. Wenn Leistung sich wieder lohnen soll, dann müssen auch die leistungslosen Einkommen aus Vermögen stärker zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben herangezogen werden. Die Regierungsparteien aus ÖVP und SPÖ paralysieren sich jedoch gegenseitig. Ob in der Steuer-, Wirtschafts-, Sozial- oder Bildungspolitik, nirgends sind mutige Richtungsentscheidungen möglich, die den Bürgern vermitteln könnten, dass Zukunftswege jenseits von Ausgrenzung der Schwächsten und Abschottung möglich sind.

Menschen mit Asylstatus machen heute fünf Prozent der Arbeitslosen in Österreich aus – das ist nicht kleinzureden, aber bewältigbar. Der Anteil der Grundsicherung an den Gesamtsozialkosten beträgt mickrige 0,7 Prozent. Die Abstellung von Doppelgleisigkeiten im Gesundheitswesen oder von Privilegien würde da wohl mehr bringen als Mindestsicherungen zu kürzen. Vorstöße für Arbeitszeitverkürzung, der Abbau von Überstunden oder die Neujustierung der Steuereinnahmen, die derzeit zu stark an die Erwerbsarbeit gekoppelt sind, würden strukturell neue Weichen stellen. Allein der Abbau ökologisch kontraproduktiver Subventionen sowie etwas höhere Abgaben auf Vermögen ergäben laut Berechnung der Allianz „Wege aus der Krise“ Staatseinahmen von 11 Mrd. Euro jährlich, mit denen ökologische und soziale Konjunkturprogramme finanziert werden könnten.

Österreich zählt zu den reichsten Ländern der Erde. Eine Debatte über „Fairteilung“ würde daher angeraten sein und mehr Gelassenheit ermöglichen. Führen wir diese Debatte nicht, steht die Gesellschaft auch ohne Flüchtlinge vor einer Spaltung in Verlierer und Gewinner. Kollektives Teilen wird die Zukunftsübung für Wohlstandsdemokratien sein – auf nationaler wie internationaler Ebene.

Mag. Hans Holzinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek in Salzburg. Vor kurzem erschein sein Buch „Von nichts zu viel – für alle genug. Perspektiven eines neuen Wohlstands“ (oekom 2016).