Die Robert-Jungk-Bibliothek hat eine Gesprächsreihe über Bücher gestartet, die nach der Krise von Bedeutung sein könnten. Stefan Wally sprach mit mir über Niko Paechs Streitschrift „Befreiung vom Überfluss“.  Eine ausführliche Besprechung des Buches findet ihr auf der Bücherdatenbank „proZukunft“. Und untenstehend ein paar Überlegungen zum Buch aus aktuellem Anlass.

Wenn wir nun zuhause sitzen, nur die nötigsten Erledigungen machen, in einer Art „Auszeit“ leben, rattert wohl bei jeder/m eine Liste im Kopf ab, was wirklich wichtig ist: Gesundheit, Familie, Freunde, eine gesicherte Existenz, ein planbares Einkommen. Wir sind jenen dankbar, die sich um unsere Grundbedürfnisse kümmern: Versorgung mit Lebensmitteln, funktionierende Infrastrukturen, Zugang zu Strom, Wasser, Internet! Und vieles wird unwichtig.

Niko Paech schreibt in seiner 2012 erschienenen Streitschrift „Frei ist nicht wer viel hat, sondern möglichst wenig braucht. Er bringt damit die Essenz des Minimalismus bzw. der Suffizienzbewegung auf den Punkt.

Ein gutes Jahrhundert vor ihm hat dies der kanadische Philosoph Henry David Thoreau so formuliert: „Der Mensch ist reich in Proportion zu den Dingen, die sein zu lassen er sich leisten kann.“ Ein Mantra wider unsere Multioptions- und Multitaskinggesellschaft.

Niko Paech argumentiert nun nicht moralisch, sondern zeitökonomisch. Wir hätten gar nicht mehr die Zeit, all die Dinge, die wir uns anschaffen, zu nutzen, all die Angebote wahrzunehmen, die auf uns einströmen. Darin liegt, so Paech, unser Verlust an Lebensqualität. Marianne Gronemeyer spricht in diesem Zusammenhang von der „Kunst des Unterlassens“.

Man darf das keinesfalls romantisieren. Nicht alle leben in jenem Überfluss, von dem Paech spricht und von dem sie sich befreien müssten. Aber es sind mehr, als gemeinhin angenommen wird. Es geht dabei nicht nur um die Superreichen und deren Luxus, sondern um den Ballast, den viele von uns in unseren Wohnungen und Terminkalendern angehäuft haben. Die Auszeit durch die aktuelle Krise kann uns bewusst machen, was uns wirklich abgeht und worauf wir durchaus und leicht verzichten könnten.

Der Hintergrund der Argumentation von Paech ist natürlich die ökologische Frage. Wir leben ökologisch weit über unsere Verhältnisse, unser Ökofußabdruck ist viel zu groß, so seine Argumentation.

Das führt zum zweiten Themenstrang des Buches, der für uns aktuell wichtig sein könnte. Niko Paech spricht von einem Fremdversorgungssyndrom. Wir rühmen uns zwar unserer hohen Produktivität, unserer Effizienz, übersehen dabei aber, dass diese auf fremden Rohstoffen und fremder Energie basiert. Auf uns gestellt, würden wir in vielen Bereichen scheitern, so die Argumentation.

Die Coronakrise ruft uns die Fragilität der globalen Güterketten ins Bewusstsein. Plötzlich merken wir, dass wir bei Medikamenten, Schutzausrichtungen usw. voll von China oder Indien abhängig sind. Und die Preise für Gesundheitsgüter am Weltmarkt schnellen in die Höhe. Die Aussetzung der Produktion von Zulieferteilen in einem Land führt zum Stilstand auch im Betrieb in jenem Land, in den die Teile geliefert werden sollen. Wir sind alle ziemlich voneinander abhängig geworden.

Paech erwähnt noch eine andere Abhängigkeit: die vom Geld, insbesondere vom Schuldgeld. Ein immer größerer Teil unseres Wohlstandes basiere auf Schulden – dies sei der Grund dafür, warum ein Ausstieg aus der Wachstumsspirale so schwerfalle. Ein Umstand, der durch die Coronakrise rasant an Brisanz gewonnen hat.

Wie möchte Niko Paech nun dieses Fremdversorgungssystem überwinden. Die Antworten sind bekannt: Umstieg auf regionale, erneuerbare Energieträger und Umstieg auf eine Art Kreislaufwirtschaft, in der Dinge lange genutzt und auch wieder repariert werden, um Rohstoffe im Kreislauf zu halten. Sowie generell Zurückdrängung unserer Geldabhängigkeit.

Daher plädiert Paech auch für die Rückkehr zu urbaner Subsistenz. Ihm schwebt eine 20.20.Gesellschaft vor. 20 Stunden Erwerbsarbeit für alle und 20 Stunden Eigenarbeit für alle. Das kann Selberkochen sein, was wir gerade ja alle tun, oder das Bebauen eines Gemüsegartens, das kann aber auch Nachbarschaftshilfe sein, oder die Mitarbeit in einem Repaircafe, in dem PCs oder andere Elektrogeräte repariert werden.

Das Ganze liefe dann auf eine Postwachstumsökonomie mit stärkerer regionaler Orientierung hinaus – Paech setzt z. B. da auch auf Regionalwährungen.

Der Soziologe und Ökologe Wolfgangs Sachs vom Wuppertal Institut hat diese Perspektive bereits in den 1990er-Jahren mit 4 „E“ umschrieben: 1) Einfachheit als Luxus des Weniger 2) Entkommerzialisierung als Rückkehr zum teilweise Selbermachen 3) Entschleunigung als Prinzip des Herunterfahrens von Aktivitäten und 4) Entflechtung als Rückbau globalisierter Versorgungsketten.

Manche meinen, nach Corona werde nichts mehr sein wie vorher. Das klingt dramatisch. Ich denke vieles wird so sein wie früher, vieles wird auch anders sein. Um die drohende Wirtschaftskrise, die zugleich eine Sozialkrise sein wird, abzuwenden, wird es Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen brauchen. So wird z. B. ein Europäischer Transformationsfond vorgeschlagen, der den wegen der Klimakrise nötigen wirtschaftlichen Strukturwandel anstößt und zugleich der Rezession entgegenwirkt. Der Vorschlag stammt vom Ökonomen Stephan Schulmeister.

Eine Veränderung könnte in der Tat in der wieder stärker regional orientierten Ausrichtung des Wirtschaftens liegen. Das mag alles utopisch klingen. Aber Utopien bedeuten nicht: „So wird es sein“, sondern: „So könnte es werden“. Warum sich nicht eine Welt vorstellen, in der Wissen und Knowhow global geteilt werden, die Produktion aber wieder dezentralisiert abläuft – unter zu Hilfenahme von Hightech und einer Rohstoffkaskade.

Das würde nicht das Ende der Marktwirtschaft bedeuten, wir hätten dann wohl wieder mehr Marktwirtschaft, aber möglicherweise das Ende des Kapitalismus. Finanztrader müssten sich dann eben neue Jobs suchen – Altenpfleger beispielsweise werden gesucht!