Langfassung der Rede von Hans Holzinger, Nachhaltigkeitsexperte der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, beim 4. Weltweiten Klimastreik von Fridays for Future 29.11.2019

1.Die Bewegung von Fridays for Future ist für mich der bisher beste Beitrag zur Bildung für nachhaltige Entwicklung, auch wenn er nicht im Lehrplan steht. Sie ist aber auch ein guter Beitrag zu Politischer Bildung. Die zigtausenden jungen Menschen in tausenden Städten der Welt sind nicht mehr gewillt, die täglichen medial verbreiteten Alarmbotschaften einfach hinzunehmen, sondern dagegen aufzustehen. So spüren die Schüler und Schülerinnen endlich Selbstwirksamkeit!

2. Die Arbeiten der Klimaforschung sind wichtig, sie bilden eine wichtige Argumentationsgrundlage. Doch erst Fridays for Future hat es geschafft, dass das Thema Klimakrise endlich ganz oben auf der öffentlichen Agenda steht. Plötzlich kann keine politische Partei mehr dem Thema ausweichen. Fridays for Future hat die Medien aufgeweckt, verschafft den Erkenntnissen der Klimaforschung endlich Gehör. Ja, und Fridays for Future beeinflusst mittlerweile Wahlergebnisse – so muss es sein. Regierungsübereinkommen ohne Klimaschutz sind nicht mehr denkbar.

„Ich will eure Hoffnung nicht. … Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr die gleiche Angst habt, die ich tagtäglich verspüre. Und dann will ich, dass ihr handelt.“ So Greta Thunberg an die Versammelten des Wirtschaftsforums in Davos dieses Jahr. Aus diesen Worten spricht Ernsthaftigkeit und Wut. Ein Ende des Wegschauens und Zögerns – das will Fridays for Future.

3. Für jene die noch immer den Kopf in den Sand stecken, ein paar Schlagzeilen aus diesem Monat:

„Tausende Wissenschaftler warnen vor Klima-Notfall. Mehr als 11.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 153 Ländern fordern mehr Klimaschutz in einer gemeinsamen Erklärung im Fachjournal BioScience“ (5.11.2019, DIE ZEIT)

„Klimakrise fordert Tausende Tote. Aktuelle Studie beweist, dass die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zu wenig gegen die Erderwärmung tun.“ (6.11.2019, Salzburger Nachrichten)

„Höchste Warnstoffe für Sidney. Australien erlebt angesichts einer Rekorddürre in Teilen des Landes eines der schlimmsten Buschfeuer“ (9.11.2019, ORF)

„Zyklon Bulbul forderte erste Menschenbeben. In Indien wurden über 60.000 Menschen aus dem Küstengebiet  in Sicherheit gebracht. In Bangladesh meldeten die Behörden, mehr als zwei Millionen Menschen seien in rund 5.500 Notunterkünfte gebracht worden.“ (9.11.2019 ORF)

„Apokalyptische Zerstörung in Venedig. Ein historisches Hochwasser hat die Lagunenstadt heimgesucht.“ (14.11.2019, Salzburger Nachrichten)

„Bekommen wir die Extreme noch in den Griff? Salzburg im Bann der Naturgewalten.“ (20.11.2019, Salzburger Nachrichten)

4. Verbal ist Klimaschutz in der Politik angekommen – das ist ein erster Erfolg. So hat das EU-Parlament vor kurzem den Klimanotstand ausgerufen. Doch im Handeln ist die Politik noch immer zögerlich – von einigen Ländern ausgenommen, etwa der Heimat von Greta Thunberg. Eine CO2-Steuer schwäche den Wirtschaftsstandort, sie treffe die sozial Schwächeren, Klimapolitik müsse im Einklang mit der Wettbewerbs-fähigkeit stehen – so einige Argumente der Verzögerer und Zauderer. Man kann es auch anders sehen: Wer jetzt den Wandel verpasst, wird zukünftig Marktnachteile haben. Soziale Ungleichheit unterbindet man am besten durch eine bessere Verteilung. Und Österreich drohen Strafzahlungen in Millionenhöhe, weil wir die vereinbarten Reduktionsziele nicht erreichen. Wir wissen das.

5. Großer Widerstand kommt von der Öllobby: Eine neue Studie [1] zeigt: Die weltweit fünf größten Öl- und Gasunternehmen BP, Chevron, Exxon Mobil, Shell und Total und ihre Lobbygruppen haben seit 2010 mindestens 250 Millionen Euro ausgegeben, um EU-Entscheidungen in den Bereichen Klima und Energie zu beeinflussen. In der Zeit von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker haben 327 hochrangige Treffen mit der EU-Kommission stattgefunden. Das entspricht mehr als einem Treffen pro Woche.[1] Es gibt auch Widerstand dagegen: Mit Erscheinen der Studie starteten mehr als 200 zivilgesellschaftliche Organisationen die internationale Kampagne Erdöllobbys raus aus der Politik! (Quelle: attac) Und die aus den USA kommende Divestment-Bewegung ruft dazu auf, nicht mehr in die Fossilbranche zu investieren.

6. Auch in Österreich gibt es Lobbying. „Digitalisierung ist wichtiger als Klimawandel“ – mit dieser Schlagzeile berichtete eine österreichische Tageszeitung über eine Erhebung von Future Business Austria unter 240 Managern. „Geht es nach Österreichs Managern, ist die größte Herausforderung für die Infrastruktur des Landes nicht der Klimawandel, sondern die Digitalisierung“. „Die standortpolitischen Erwartungen an die neue Bundesregierung sind damit klar“, wird der Sprecher der Initiative zitiert. Man kann das Ergebnis aber auch anders sehen: 52 Prozent der Befragten nannten den digitalen Wandel als entscheidend, aber immerhin 33 Prozent den Klimawandel, vor ein paar Jahren wären es wohl noch bedeutend weniger gewesen. (Die Presse, 4.11.2019) Eine andere Umfrage unter 600 österreichischen Führungskräften ergab, daß sich „mehr als jeder zweite Firmenchef über die Auswirkungen des Klimawandels besorgt zeigt“ (Kurier, 17.10.2019).

7. Die OPEC hält am Ölpfad fest: „Öl auch 2040 noch wichtigster Energieträger. Laut einem aktuellen Bericht der OPEC wird 2040 ein Viertel mehr Energie benötigt als heute. Der Anteil der fossilen Energie soll dabei nur wenig sinken – das bedeutet, dass der Verbrauch von Öl, Kohle und Gas in absoluten Zahlen in den kommenden zwei Jahrzehnten kräftig zulegt. Laut Prognose könnte damit Öl noch 2040 die größte Energiequelle sein.“ (ORF, 5.11.2019) Zwei Drittel der noch vorhandenen fossilen Reserven müssen unter der Erde bleiben, wenn wir das 2-Grad-Ziel erreichen wollen. Wir sehen, dass sich hier noch Welten gegenüberstehen. Dennoch bleibt kein anderer Weg, als dran zu bleiben und die Energie- und Mobilitätswende einzufordern. Dass diese möglich ist, zeigen bereits zahlreiche Einzelbeispiele. Sie müssen zur neuen Richtschnur und Praxis werden.

8. Neben dem Energiebereich geht es, dies hat ein Sonderbericht des UN-Klimabeirats dieses Jahres gezeigt, um eine Ernährungswende. Je nach Berechnungsmethode fallen 20 bis 50 Prozent der Treibhausgase auf den Ernährungssektor. Eine zentrale Rolle spielt hier Methan als sehr schädliches Treibhausgas, das vor allem in der Massentierhaltung freigesetzt wird. Aber auch durch den Einsatz von Kunstdünger, weite Transportwege und die Abholzung von Regenwäldern für Monokulturen, etwa Soja für Masttiere, wird der Klimawandel angetrieben. Man muss es sagen, wie es ist: Das agroindustrielle Ernährungssystem kann nie nachhaltig werden: Es erzeugt Hunger trotz Überproduktion, Pestizide zerstören die Artenvielfalt, der hohe Konsum tierischer Produkte heizt dem Klima ein, Tiere gehalten als Produktionsmaschinen sind eine ethische Bankrotterklärung ebenso wie der Umstand, dass jährlich Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden.

9. Es gibt Alternativen. Dem Magret Thatcher zugesagten Ausspruch „There ist no Alternatve“ (sie meinte damit den gegenwärtigen Kapitalismus) ist entgegenzuhalten: „There are plenty of alternatives“. Also TAPAS statt TINA. Ich beschäftige mich mit Zukunftsforschung. Wir werden viele Wenden brauchen: eine Energie- und Mobilitätswende, eine Agrar- und Ernährungswende, eine Konsum- und Wohlstandwende, aber auch eine Politik- und Steuerwende. Am Beispiel Ernährung: Ganz Europa könnte aus biologischer Landwirtschaft ernährt werden, ohne Zukauf von Futtermitteln aus Regenwaldplantagen. Einzige Bedingung: Halbierung des Fleischkonsums. Und dass man auch ganz ohne Fleisch gut leben kann, machen uns die an Zahl und Bedeutung zunehmenden Vegetarier und Veganerinnen vor.

10. Ich komme zum Schluss. So wie wir Maßnahmen auf vielen Ebenen brauchen – in der Politik, in den Unternehmen, in bezug auf unseren Lebensstil –, so brauchen wir auch politischen Druck auf vielen Ebenen. Demos auf den Straßen, kluge Interviews, freche Aktionen, aber auch rechtsstaatliche Wege – es gibt ja die ersten Klimaklagen – sowie die Nutzung direktdemokratischer Mittel. Wie das aktuelle Klimavolksbegehren (es läuft übrigens auch ein Tierschutzvolksbegehren). Das Klimaschutzbegehren richtet vier konkrete Forderungen an das Österreichische Parlament, eine davon lautet, Klimaschutz in die Verfassung aufzunehmen, ein anderes die Einführung einer CO2-Steuer als Lenkungsinstrument. Über 50.000 haben bereits unterzeichnet. Auf jedem Gemeindeamt Österreichs kann unterschrieben werden. Bitte Ausweis mitnehmen!

11. Ich habe anfangs gesagt: Die Wende ist noch nicht geschafft, aber ein guter Anfang gemacht. Also bleiben wir dran! Geben wir nicht nach und lassen wir nicht nach! Ich bin Geograph und weiß: Das Klimasystem ist ein sehr komplexes Gefüge und Treibhausgase sind etwas sehr Abstraktes. Es gibt Kipppunkte, Wetteranomalien, sich selbstverstärkende Krisen. Wir sind die letzte Generation, die umschwenken kann, sagt uns die Klimaforschung. Am meisten trifft der Klimawandel die Menschen in ärmeren Regionen, die bereits von Natur aus klimatisch benachteiligt sind, etwa in den heißen Zonen Afrikas, oder in den Hurrican-Regionen Asiens und Lateinamerikas. Jene, die am wenigsten an der Aufheizung des Planeten Schuld tragen, sind die Vulnerabelsten, also Verletzlichsten. Wirksame Klimapolitik ist also auch eine Frage globaler Gerechtigkeit. Die Auswirkungen sind aber auch bei uns immer mehr spürbar. Stark betroffen ist die Landwirtschaft, in der Ernteausfälle zunehmen, und damit unsere Ernährungsgrundlagen

12. Der heutige 4. Weltweite Klimastreik findet am Tag des sogenannten Black Friday statt. Heute vor90 Jahren crashte in New York die Börse, weil sich Reiche immer mehr darauf verlegt hatten, mit Geld zu spekulieren, um noch reicher zu werden, anstatt es zu investieren. Die Folge damals war der Ausbruch einer Weltwirtschaftskrise mit Massenarbeitslosigkeit und großer Not. Jetzt wird wieder spekuliert im Namen von kurzfristigen Profiten. Am Spiel steht jedoch unsere Zukunft. Der Tag für die heutige Demonstration ist also gut gewählt.

13. Jede Gesellschaft braucht ein einigendes Ziel, eine gemeinsame Erzählung. Nach Faschismus und Krieg waren dies das Versprechen auf Wohlstand und Demokratie. Beides wurde eingelöst. Beides braucht aber nun eine grundlegende Erneuerung. Wohlstand kann nicht mehr bedeuten, noch immer mehr Güter anzuhäufen und unsere Mobilitätsradien noch mehr auszuweiten. Begrenzung ist angesagt. Das ist auch eine Herausforderung an die Demokratie. Politik darf sich nicht mehr in der Verteidigung alter Pfründe erschöpfen. Sie braucht den Mut für den Wandel hin zu nachhaltigen Strukturen. Das erfordert klare Rahmenbedingungen und Vorgaben für die Unternehmen, damit diese neu planen können, und es erfordert auch, uns Bürgern und Bürgerinnen bessere Leitplanken zu geben: Nachhaltiges Verhalten muss erleichtert und belohnt werden, nicht nachhaltiges verhalten erschwert, finanziell belastet oder untersagt werden.

14. Am mangelnden Wissen scheitert es nicht mehr, höchstens an der Verdrängung, eine sehr menschliche, aber in Krisen gefährliche Eigenschaft. Und wenn sie uns sagen: Ihr habt ja Recht. Aber wer will schon verzichten. Dann fragen wir zurück: Worauf verzichten wir jetzt? Auf lebensfreundliche Städte, die wieder den Menschen gehören und nicht mehr den Autos! Auf Lebensmittel hoher Qualität, die frisch sind, gesund und gut schmecken! Auf ein Leben, in dem Zeit bleibt für all die Dinge, die uns wichtig sind, weil das Erwirtschaftete so verteilt wird, dass man auch mit weniger Erwerbsarbeit gut über die Runden kommt. Dem Killer-Argument „Arbeitsplätze“ können wir entgegnen: Auch die Zukunftswende schafft Arbeitsplätze und Strukturwandel hat es immer gegeben. Zudem lässt sich die Arbeitszeit verkürzen!

Am meisten gewinnen wir durch die Klimawende und all die anderen genannten Wenden aber, weil wir so wieder mit gutem Gewissen einschlafen können, weil uns das Dasein der Menschen anderswo nicht mehr egal ist und weil uns die Zukunft der jungen und nachkommenden Generationen nicht mehr egal ist!

Rückmeldungen gerne an: hans.holzinger@jungk-bibliothek.org

[1] Corporate Europe Observatory, Food &Water Europe, Friends ofthe Earth Europe und Greenpeace EU. Download