Aufgabe der Wirtschaft ist es (wäre es), uns mit den für ein gutes Leben notwendigen Gütern zu versorgen. Die Politik hat hierfür die Rahmenbedingungen zu setzen und für eine faire Verteilung zu sorgen und auf die Gemeingüter, dazu zählt insbesondere eine intakte Umwelt, zu achten. Die Kunst muss nichts und darf (fast) alles. Doch Kunst kann berühren, uns betroffen machen, Kraft geben. Und es gibt engagierte Kunst, die sich den Themen der Zeit stellt, und Künstler und Künstlerinnen, die sich öffentlich zu Wort melden, aktuell auch im Zusammenhang etwa mit dem Klimavolksbegehren und dem Tierschutzvolksbegehren in Österreich. Im Folgenden einige Beispiele dazu.
Umweltengagement in der Welt des Pop
In „Mother Nature´s Son“ von 1968 skizzierten die Beatles ein verschwindendes Idyll namens Natur. Joni Mitchell klagte bereits 1970 in „Big Yellow Taxi“, das Paradies sei zugunsten eines Parkplatzes betoniert worden. Zahnpasta und Seife würden die Ozeane in ein Schaumbad verwandeln, warnten die Beach Boys in „Don´t go Near The Water“. Als vielleicht erfolgreichster Ökosong aller Zeiten gilt der „Earth Song“ von Michael Jackson aus dem Jahr 1995. Auch für mehr Klimaschutz gibt es Engagement aus der Popwelt. Als im Mai 2010 der „Rainforest Fund“ in der New Yorker Carnegie Hall zur Spendengala lud, wirkten Popgrößen wie Lady Gaga, Elton John, Bruce Springsteen und Sting mit. 2015 unterzeichnete Sting gemeinsam mit David Bowie und anderen einen offenen Brief zum Klimagipfel in Paris, in dem die Politik zu einem verbindlichen Vertrag gedrängt wird. Der Gitarrist der Popgruppe Queen Brian May hat vor kurzem angeregt, ein neues Live Aid-Konzert für Klimaschutzmaßnahmen zu organisieren. Der Schauspieler Leonardo di Caprio hat mit „Before the Flood“ einen aufrüttelnden Film gedreht, Maggie Q., bekannt aus Filmen wie „Mission Impossible“ oder „Stirb langsam 4.0“, setzt sich für pflanzliche Ernährung zur Bekämpfung des Klimawandels ein. Die Beispiele ließen sich wohl fortsetzen.
Klimaapokalypsen und Neuansätze
Als frühes Beispiel für Klimaapokalypsen gilt der Film „The Day after Tomorrow“ von Roland Emerich aus dem Jahr 2004, der die Überflutung New Yorks durch den ansteigenden Meeresspiegel aufgrund eines abrutschenden Eisschildes der Antarktis inszeniert. Beliebt sind Topoi von der ausgestorbenen bzw. ausgerotteten Menschheit, in der nur wenige überleben und eine neue Zivilisation starten wie Deon Meyers Science Fiction-Thriller „Fever“, oder escapistische Filme, in denen neues Leben auf einem fremden Planeten beginnt. In „Red Planet“ aus dem Jahr 2000 bricht eine kleine Gruppe von Astronauten auf, um die Besiedlung des Mars vorzubereiten. Übertreibungen können jedoch nach hinten los gehen, da sie wenig glaubwürdig wirken. Und die Auswanderung auf den Mars ist selbstredend ohnedies keine Perspektive.
Selbst dem millionenfach gezeigten Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“ von Al Gore wird unterstellt, dass er stark übertreibe. Der Film verweist aber auf das Genre des neuen kritischen Dokumentarfilms, von dem im Bereich der Kunst aktuell wohl die größte Wirkung ausgeht. Streifen wie „Plastic Planet“ von Werner Boote, Working Men´s Death“ von Nikolaus Geyerhalter oder „Green Lie“ mit der Journalistin Kathrin Hartmann erreichen ein großen Publikum. Sie zeigen die Ausbeutung von Arbeitenden in den Bergwerken und Fabriken der Randzonen des globalen Kapitalismus, die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Indigenas durch industrielle Monokulturen und den ökologischen Irrsinn unserer Plastikwelt. Problematisiert werden die Klima-Folgen von Massentierhaltung und industrieller Viehzucht („Cowspiracy“ von Kip Andersen und Keegan Kuhn) oder die Machenschaften von globalen Lebensmittelkonzernen, wie im Film „We feed the World“ von Ernst Wagenhofer, der mit „Darwins Nightmare“ erstmals die Kinosäle füllte – eine Geschichte über die Zerstörung der lokalen Fischkulturen am Victoria-See. Mittlerweile gibt es auch zahlreiche Kinofilme, die Auswege aufzeigen, etwa „Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen“ von Cyril Dion und Melanie Laurent oder „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ der jungen österreichischen Filmemacherin Teresa Distelberger.
KünstlerInnen im ökologischen Engagement
Das Thema Klimawandel ist selbstredend auch im Kabarett angekommen – eine Kunstrichtung, die zwischen Bewusstseinsbildung ohne Zeigefinger und Druckentlastung durch Humor oszilliert. „´Die Anstalt´ bringt die Erderhitzung auf die Kabarett-Bühne“, „Nuhr über Erderwärmung und Klimawandel“, „Sarah Bosetti: der Erste Klasse-Klimawandel“ oder „Bruno Jonas: Klimawandel. Die Hitze plagt Bayern“ – so einige Schlagzeilen, die aufscheinen, wenn man auf Google „Kabarett und Klimawandel“ eingibt. Angeboten wird auch ein spezielles „Klima-Energie-Kabarett“ der Österreicher Manfred Linhart und Georg Bauernfeind, eine Geschichte rund um einen ökoresistenten Hausmeister, die Klimaschutz und Energie „auf die etwas andere Art und Weise behandelt“. Dass die Grenze zur Geschmacklosigkeit auch überschritten werden kann, zeigt das Programm „Rettet den Klimawandel“, in dem der bayrische Kabarettist Sepp Haflinger mit einem Haarföhn die Wiesen austrocknet, um die angeblich nicht stattfindende Erderwärmung voranzutreiben. Der aus rechten Medien bekannte Seitenhieb auf „Gräte Thunfisch“ darf im Videoclip da natürlich nicht fehlen. Kabarett kann – wie Kunst generell – aufklären, sie kann aber auch Entlastungsfunktion haben, die vom Handeln befreit. Doch zurück zum Ernst bzw. zur sogenannten „ernsten Musik“.
Klimaschutz erreicht die Konzertsäle der Klassik
Mittlerweile gibt es auch erste Initiativen im Bereich der klassischen Musik. Das „Orchester des Wandels“ aus 130 Musiker*innen der Staatskapelle Berlin unterstützt gemeinsam mit der Stiftung „NaturTon“ Klimaschutzprojekte. Diese „Klimakonzerte“ würden zur Sensibilisierung beitragen und konkrete Maßnahmen wie Wiederaufforstungen fördern, berichtet der Bayrische Rundfunk Klassik. In den Eröffnungsreden von Bundespräsident Alexander van der Bellen bei den Bregenzern wie den Salzburger Festspielen war der Klimawandel ein prominentes Thema. Der Regisseur Peter Sellars, der in Salzburg Idomeneo inszenierte, forderte eine „ökologische Zivilisation“. Der Applaus für alle diese Reden war berauschend. Doch wird das Gehörte bei der versammelten Prominenz auch Wirkung zeigen? Werden die Konzernchefs ihre Unternehmen nun auf CO2-frei trimmen, die Banker ihre Investitionen überdenken und sich dem Divestment anschließen, einer internationalen Bewegung zum Abzug von Kapital aus der Fossilindustrie? Ausgemacht ist es nicht.
Auch gibt es erste Initiativen, die Tourneen von Bands ökologischer ausrichten wollen. Die 2009 in Deutschland gegründete „Green Music Initiative“ versteht sich als „Plattform zur Förderung einer klimafreundlichen Musik- und Entertainmentbranche“. Vor kurzem wurde das erste Musikfestival mit selbsterzeugtem Strom eines Solarturms mit einem Windrad an der Spitze zumindest teilversorgt. Dass die Reggae-Künstler Mellow & Pyrrow ihren Videoclip mit auf umgebauten Fahrrädern selbst erstrampeltem Strom produzierten, mag ein eher skurriles Beispiel des Engagements sein. Aber: „Das neue Ökobewusstsein verändert die Unterhaltungsindustrie“, so ein Beitrag des Goethe-Instituts. Der Autor des Reports bleibt aber skeptisch. Es gehe auch darum, „Künstlern und Konsumenten ein gutes Gewissen zu verschaffen“ und bei manchen Musikern möge es sich auch um einen Teil der Imagepflege handeln. Wie bei Unternehmen ist tatsächliches Umweltengagement von Greenwashing nicht immer zu unterscheiden. Dennoch kommt Künstlern und Künstlerinnen eine wichtige Rolle im Umweltengagement zu, weil sie viele Menschen erreichen und sie uns anders als die Wissenschaft auch emotional ansprechen.
Kunst muss nichts und darf fast alles
Die Kunst kann sensibilisieren, die Sinne schärfen, Bewusstsein schaffen. Was Kunst und Politik unterscheidet: Kunst muss nichts und darf (fast) alles. Politik ist dem Allgemeinwohl verpflichtet und hat dementsprechend nach Abwägen aller Für und Wider Entscheidungen zu treffen, die diesem Allgemeinwohl am besten dienen. Politik muss Regeln setzen, ohne die kein Gemeinwesen funktioniert. Kunst unterscheidet sich auch von Wirtschaft. Diese folgt nicht den Prinzipien der Erbauung oder Aufklärung, sondern denen der Zahlen. Gemacht wird, was sich rechnet. Unternehmen ändern ihre Strategien, wenn der Ausstoß an Treibhausgasen etwas kostet. Investoren schichten ihre Portfolios um, wenn mit anderen Investments mehr Geld zu verdienen ist – und seien sie ökologisch. Daher liegt es an der Politik, die Rahmenbedingungen zu ändern.
Wirtschaftswunder und Konsumwachstum waren nach dem Zweiten Weltkrieg die Klammer, die unsere Gesellschaften zusammenhielt. Diese große Erzählung gilt nicht mehr. Sie hat die Menschen vereinzelt, sie bekommt Brüche, der Fahrstuhl fährt längst nicht mehr für alle nach oben, und – das ist entscheidend – sie stößt an ihre ökologischen Grenzen. Das Paradox dabei: Unser Erfolgsmodell gerät in die Krise, weil andere es auch wollen. Die globale Konsumentenklasse weitet sich aus, andere wollen auch Teil haben am Weltwohlstandskuchen. Es reicht nicht, an ein paar Stellschrauben zu drehen. Ob Artensterben, Degradation der Böden, Leerfischung der Meere, Hunger bei den einen, Anhäufung schamlosen Reichtums bei den anderen: Wir schlittern in eine Mehrfachkrise. Gefordert sind Wirtschafts- und Lebensweisen, die für demnächst acht Milliarden Milliarden Menschen tragfähig sind. Nichts anderes meint Nachhaltigkeit. Kunst kann Utopien einer ökologischen Zivilisation entwerfen. Wie wir diese andere Zivilisation bauen, ist dann Aufgabe der Gesellschaft. Eine große Herausforderung wird die weiter zunehmende Migration aufgrund zerstörter Lebensgrundlagen für viele Menschen sein, wobei es nur ein Bruchteil derer, die flüchten müssen, in die Wohlstandsregionen schaffen wird. Wenn überhaupt, weil die politischen Signale stehen seit Jahren auf Abschottung. Hier können Kunst und Kultur sensibilisieren. Denn: Auf dem Spiel stehen Demokratie und Humanität.
Der Kunst kann und soll Engagement freilich nicht vorgeschrieben werden. Von Künstlern und Künstlerinnen ist jedoch zu wünschen, dass sie sich noch in die öffentlichen Debatten einbringen. Wie aktuell für eine ernsthafte Klimapolitik, für Menschenrechte und Tierschutz.
Mag. Hans Holzinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und pädagogischer Leiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind nachhaltiges Wirtschaften, Zukunft der Arbeit, neue Wohlstandsmodelle. Er ist Moderator von Zukunftswerkstätten, Mitherausgeber des Magazins „ProZukunft“ und Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschienen: „Wie wirtschaften? Ein kritisches Glossar“ (2018), „Von nichts zu viel – für alle genug“ (2016). Ebenfalls 2018 erschien sein Paper „Klimapolitik am Prüfstand“. 2020 publizierte er das JBZ-Arbeitspapier „Wann lernen Gesellschaften“. Am 18. Juni referierte er bei einer Vernissage des Artforum Lehen zu „Kunst und Nachhaltigkeit“.