Ziel von Wirtschaft ist es, allen Menschen ein existenzsicherndes Leben zu ermöglichen. In arbeitsteiligen, geldbasierten Gesellschaften erfordert dies ein angemessenes Einkommen für alle. Alle Arbeitsfähigen sollen dazu in ihren Möglichkeiten beitragen, denn das fördert den sozialen Zusammenhalt und gilt als Grundkonsens von Wohlfahrtsstaaten. Allgemein akzeptierte Theorie ist auch, dass Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften über den Arbeitsmarkt geregelt werden. Überangebot führt zu Arbeitslosigkeit, Unterangebot zu Arbeitskräftemangel. Uneinigkeit gibt es jedoch hinsichtlich der Strategien zur Überwindung von beidem. Arbeitslosigkeit kann durch zusätzliche Erwerbsarbeit, aber auch durch eine Neuverteilung der vorhandenen Erwerbsarbeit, etwa eine Vier-Tage-Woche sowie attraktive Teilzeitmodelle, abgebaut werden. Beides macht Sinn, in der Öffentlichkeit wird jedoch vor allem das Schaffen neuer Arbeitsplätze diskutiert. Im Klartext heißt dies: immer mehr Arbeiten trotz Automatisierung von immer mehr Tätigkeitsbereichen. Den individuellen Lebenslagen angepasste Arbeitszeitmodelle, etwa die vorgeschlagene Familienteilzeit oder das Angebot „Mehr Zeit statt mehr Lohn“ erhöhen die Lebensqualität der Betroffenen und entlasten den Arbeitsmarkt. Dies bedeutet nicht, dass keine neuen Jobs mehr geschaffen werden, im Gegenteil, in Zukunftsbranchen wie Erneuerbare Energien, Kreislaufwirtschaft, Bildung und Pflegedienstleistungen werden wir deutlich mehr Arbeitskräfte brauchen. Jene in nicht-nachhaltigen Sektoren müssen jedoch verschwinden. Fossilbranchen sind zu schließen oder brauchen neue Geschäftsfelder – anders ist Dekarbonisierung nicht möglich. Eine Kreislaufwirtschaft, die diesen Namen verdient, wird zwar neue Jobs im Bereich des Reparierens benötigen, in Summe aber zu einem Rückgang des Konsums führen. Wer langlebige Produkte kauft, kauft weniger. Wer Güter teilt, etwa durch Carsharing, oder gar nur leiht, kauft auch weniger.
Ideologie des arbeitsunwilligen Arbeitslosen
Das führt zum zweiten Problem, dem Arbeitskräftemangel in manchen Branchen. Herrscht Unterangebot an Arbeitskräften, wie aktuell in Österreich im Bereich Pflege oder Tourismus, werden auch mehrere Optionen ins Treffen geführt. Naheliegt, mehr Personen für die betroffenen Branchen zu qualifizieren, was auch geschieht. Notwendig wäre aber auch, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Einkommen zu erhöhen, sprich die Arbeitsplätze attraktiver zu machen. Die Theorie des freien Marktes würde dies nahelegen: Knappheit führt zu höheren Preisen. Dagegen wird argumentiert, höhere Gehälter seien in den besagten Branchen nicht finanzierbar. Es stimmt: Arbeit ist zu hoch besteuert. Durch Digitalisierung werden immer weitere Bereiche automatisiert, doch Maschinen zahlen keine Einkommenssteuer und auch keine Sozialversicherung. Neben Ökosteuern brauchen wir daher auch höhere Steuern auf Konzerngewinne („Maschinensteuer“, „Digitalsteuer“), auf Vermögenszuwächse und Finanzspekulationen. Zudem müssen hohe Renditen für Aktionäre nicht sein, um Volkswirtschaften fit zu halten – es geht auch etwas bescheidener. Denn Kapital zu besitzen und zu verleihen ist per se keine Leistung und auch nicht mit Arbeit verbunden. Durch diese Neuverteilung des Wirtschaftsprodukts lassen sich jene Bereiche, die auch in Zukunft Menschen brauchen werden – wie Pflege oder Serviceleistungen – angemessen bezahlen.
Wenn aber nun das Problem auf dem Rücken der Arbeitslosen ausgetragen wird, ist das zynisch. Ja: Es braucht Anreizsysteme und Förderungen für den Wiedereinstieg von jenen, die länger arbeitslos sind, aber ihnen die Möglichkeit zu erschweren, zum Arbeitslosengeld geringfügig dazuzuverdienen, bewirkt das Gegenteil: noch mehr Ausgrenzung. Gefährlich ist die Ideologie, die damit öffentlich transportiert wird: Arbeitslose seien selbst schuld an ihrer Arbeitslosigkeit. Statt Arbeitslosen-Bashing sollen wir besser die immer krasser werdenden Vermögens- und Einkommensunterschiede hinterfragen und überwinden.
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