An die 4-500 Radfahrende demonstrierten am 11. 9.2021 in Salzburg für mehr und sichere Radwege, einen Ausbau der Radwegekoordinationsstelle statt deren Zerlegung sowie grundsätzlich eine fairere Verteilung des öffentlichen Raums unter den Verkehrsteilnehmenden. Eingeladen zur Demo hatte der Verein „Radlobby Salzburg“. Ich durfte bei der Abschlusskundgebung ein paar Gedanken beitragen. Hier mein Statement:

Besten Dank für die Einladung. Ich wurde gebeten, aus Sicht der Zukunfts- und Nachhaltigkeitsforschung ein paar Gedanken beizusteuern. Ich stehe aber auch hier als begeisterter Alltagsradfahrer und in der Überzeugung, dass das Fahrrad in der Stadt das intelligenteste, unschlagbar ökologischte und kostengünstigste Verkehrsmittel ist – nicht für die private Geldtasche, sondern auch für den Staat und die Kommunen.

In dieser Runde ist es müßig, über die Gefahren durch die Klimakrise zu sprechen. Daher beginne ich mit einer kleinen Anekdote, die sich auf unser Wirtschaftssystem bezieht:

„Das Fahrrad ist der langsame Tod des Planeten“, so wird ein Banker einer Europäischen Investmentbank zitiert:[1]  „Ein Radfahrer ist eine Katastrophe für die Wirtschaft des Landes. Er kauft keine Autos und leiht sich kein Geld, um es zu kaufen. Er zahlt keine Versicherungspolicen. Kauft keinen Treibstoff, bezahlt nicht, um das Auto der notwendigen Wartung und Reparatur zu unterziehen. Er benutzt keine kostenpflichtigen Parkplätze. Er verursacht keine schweren Unfälle, braucht keine mehrspurigen Autobahnen und er wird nicht fett. Doch gesunde Menschen sind weder notwendig noch nützlich für die Wirtschaft. Sie kaufen keine Medikamente. Sie gehen weder in Krankenhäuser noch zu Ärzten. Sie fügen dem BIP des Landes nichts hinzu.“

Ein kluger Mann, der begriffen hat, wie unser aktuelles Wirtschaftssystem funktioniert. Das Zitat bringt das Dilemma der gegenwärtigen Wachstumswirtschaft auf den Punkt, zeigt aber zugleich, dass es an der Zeit ist, Wohlstand und Lebensqualität neu zu deklinieren und nicht länger (allein) dem Bruttoinlandsprodukt zu vertrauen.

In der Zukunftsforschung sprechen wir von möglichen, wahrscheinlichen, wünschbaren und unerwünschten Zukunftsentwicklungen. Wenn wir hier nun Bilder von unserer Wunschstadt malen würden, fänden wir darin mit Sicherheit viel Grün, Wasser, viele öffentliche Plätze und Wege für Fußgänger:innen, bedeutend weniger Autos und vielmehr Radfahrer:innen.

Dieses Zukunftsbild einer zukunftsfähigen Stadt ist keineswegs nur mehr ferne Utopie, sondern bereits gelebte Wirklichkeit – etwa in Kopenhagen oder Amsterdam und in mittlerweile vielen weiteren Städten.

Warum sind wir in Salzburg dennoch davon weit entfernt? Wir stehen nicht am Anfang, was die Radkultur und Radinfrastruktur anbelangt. Aber es gibt deutlich Luft nach oben. Salzburg hat einen Radanteil von 21 Prozent am Gesamtverkehrsaufkommen – also ein Fünftel der Wege werden mit dem Rad zurückgelegt. In der deutschen Stadt Münster liegt der Anteil fast doppelt so hoch, nämlich bei 39 Prozent. Münster wird seit 2009 von Oberbürgermeister Markus Lewe, kein Grüner, sondern ein CDU-Mitglied, regiert. Er meint: „Die Frage der Mobilität hat entscheidend etwas damit zu tun, sich einer Grundfrage zuzuwenden: Wem gehört die Stadt.“ Seine Antwort: „Sie gehört Allen.“[2] In Bezug auf den Verkehr sind damit alle gemeint, die einen gleichberechtigten Zugang zum öffentlichen Raum haben müssen, nicht nur die Autofahrer, sondern auch die Fußgänger- und Radfahrer:innen.

Das Fahrrad liegt im Trend. Die rapide steigenden Verkaufszahlen bestätigen dies – selbst die Internationale Automobilausstellung in München wirbt mittlerweile mit einem Fahrradsektor. Doch dafür braucht es mehr und bessere Infrastrukturen.

Beim Begriff „Straße“ denken wir immer noch an Autos. In Kopenhagen ist das mittlerweile anders: Dort sind Radschnellstraßen von 2,5 bis 3,5 Meter Breite in beide Richtungen die Norm, also das Rad bekommt ebenbürtig Platz neben dem Auto. Neben zwei Fahrspuren für Autos gibt es links und rechts davon 2-3 Spuren für Radfahrer:innen.

Warum ist das wichtig? „Wer Straßen baut, wird Verkehr ernten“ – so der Verkehrsplaner und Erfinder des Gehzeugs Hermann Knoflacher. Das gilt übrigens auch für Parkplätze – ob oberirdisch oder im Berg! „Und wer Radstraßen baut, wird Radfahrende ernten“. Statt das zunehmende Gedränge auf Radwegen oder mit Fußgängern zu beklagen, gilt es einfach, mehr Radwege anzubieten – Prioritäten neu zu zusetzen!

In der Transformationsforschung sprechen wir von zwei Transformationsweisen:

Erstens: Neue Technik – altes Verhalten. Bei Mobilität: Umstieg aufs E-Auto, aber weiterhin Autofahren, weil das kennen und können wir. Und es gibt weiterhin Aufträge für die Wirtschaft, die nun eben E-Autos produziert.

Zweitens: Alte Technik – neues Verhalten. Bei Mobilität: Nutzung einer alten, aber intelligenten Erfindung, nämlich des Rades, aber Einübung eines neuen Verhaltens, was neue Routinen und Vernetzungen im Gehirn braucht.

Um nicht missverstanden zu werden: Um die Klimakrise zu bewältigen und die Dekarbonisierung noch hinzukriegen, ist der Abschied vom Verbrennungsmotor ein Muss und  E-Mobilität wird ein Teil der Lösung sein – aber eben nur ein Teil. Dort wo es Sinn macht, etwa in ländlichen Gebieten oder bei Zustelldiensten.Das Rad ist die unschlagbar ökologischte Form der Fortbewegung – Muskelkraft + einfache Technik (gerne auch mit E-Motor für längere Strecken!)

Wer mit dem Rad fährt, spart selbst im Vergleich zu E-Autos bis zu zehnmal mehr CO2-Emissionen, so eine aktuelle Studie. Und natürlich noch bedeutend mehr gegenüber dem Auslaufmodell „Verbrennungsmotor“![3] Mit E-Autos allein erreichen wir also nicht die geplanten Emissionsziele, so die Studie, auch weil nicht von heute auf morgen die gesamte Flotte ausgewechselt werden kann. Und das Platzproblem bleibt auch bestehen!

Mobilität ist in Zukunft als vernetztes System zu denken: Es wird nicht mehr darum gehen, ein eigenes Auto zu besitzen, sondern am besten und bequemsten von A nach B zu gelangen. Also „Dienstleistung Mobilität“ statt „Auto in Privatbesitz“. Für viele Haushalte könnte es in Zukunft reichen, Zugang zu einem Auto zu haben, wenn es gebraucht wird. Stichwort Carsharing, also Autoteilen oder Autoleihen. Autos verbringen die meiste Zeit ja ohnehin auf Parklätzen oder in Garagen. Eine gigantische Ressourcenverschwendung. Da gibt es intelligentere Nutzungssysteme. In Städten ist das Auto ohnedies mehr ein „Stauto“.

Zurück zum Eingangszitat und den Kosten. Laut einer im März 2021 veröffentlichten Studie des deutschen Umweltbundesamtes kostet die Gesellschaft ein Kilometer Auto das bis zum 10-fachen eines Kilometers Radfahrt, wenn man alle Kosten wie Straßenbau und -erhalt, Krankheitskosten, Gebäudeabnutzung durch die Emissionen u. a. einrechnet.[4] Mit den Klimakosten würde die Kluft noch bedeutend höher ausfallen. Auch Kommunen würden viel Geld sparen. Beispielsweise liegen die Baukosten für einen Pkw-Stellplatz zwischen 2.000 und 3.000 € (ebenerdig, ohne Dach) und 15.000 bis 25.000 € (Tiefgaragenstellplatz).[5] Das deutsche Umweltbundesamt belegt dies am Beispiel Freiburg: Obwohl 22 Prozent aller Wege mit dem Rad zurückgelegt werden, kann nur 1 Prozent der Ausgaben der Stadt Freiburg für Personenverkehr dem Radverkehr zugerechnet werden. Eine Verdoppelung dieses Budgets würde dem Fahrradverkehr enormen Auftrieb geben, in Summe aber wenig mehr am Gesamtverkehrsbudget ausmachen.

Die Lund Universität in Schweden kommt in Berechnungen für Deutschland auf noch höhere Unterschiede in Bezug auf die sozialen Kosten von Auto und Fahrrad. Die gesellschaftlichen Kosten der Radfahrenden werden mit minus 30 Cent/Pkm abgeben. Der Grund: positive Gesundheitseffekte. Die erhöhte Lebenserwartung von Radfahrenden kostet zwar den Staat auch etwas, aber bedeutend weniger. Man kann hier von einem Plussummenspiel sprechen – bedeutend weniger öffentliche Kosten und längere Lebenszeit.[6]

Also lernen wir besser zu rechnen: Die Politik muss mit anderen Rahmenbedingungen vorangehen, aber gefragt sind natürlich auch alle Bürger:innen. Die Stadt der Menschen ist eine wichtige Forderung, aber in den Autos sitzen auch Menschen, die zum Umdenken bewegt werden müssen.

Salzburg ist eine schöne Stadt, sie könnte noch viel schöner sein mit bedeutend weniger Autos und bedeutend mehr Radelnden. In diesem Sinne danke für euer Engagement! Zum Abschluss ein praktischer Tipp: Beim Radfahren entscheidend ist genügend Lustdruck in den Reifen – sind diese prall gefüllt, rollt das Rad ganz leicht dahin. Dies ist für mich eine schöne Metapher für die Verkehrspolitik: Sie braucht genügend öffentlichen Druck, um bessere und mutigere Schritte in eine Stadt der Zukunft mit bedeutend weniger Autos und viel mehr an Lebensqualität zu setzen.

Mag. Hans Holzinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Nachhaltigkeitsexperte der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen. Rückfragen: 0699.11370178 oder hans.holzinger@jungk-bibliothek.org.  


[1] Entnommen einem Facebook-Beitrag

[2] Zit. aus: „Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung. Benediktbeurer Gespräche der Aölianz Umweltstiftung 2018. Tagungsband, S. 35.

[3] Die Klimaschutzeffekte des täglichen aktiven Reisens in Städten, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1361920921000687?via%3Dihub#!, hier zit . n. Radfahren zehnmal besser fürs Klima als E-Autos, in: Der Standard, 11.4.2021, https://www.derstandard.de/story/2000125652819/studie-radfahren-zehnmal-besser-fuers-klima-als-e-autos

[4] https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/nachhaltige-mobilitaet/radverkehr#gtgt-gunstig;

[5] S. Anm. 4

[6] https://www.vivavelo.org/fileadmin/inhalte/user_upload/Goessling_CBA_Auto-Fahrrad_0418.pdf