1. Der Begriff „Post“ deutet an, dass wir etwas Altes hinter uns lassen und etwas Neues aufbauen. Der prognostizierten, wenn auch nicht eingetretenen post-industriellen bzw. post-materiellen Gesellschaft soll nun die post-fossile Gesellschaft folgen. Ob diese gelingt, ist noch keineswegs ausgemacht. Kurz vor Beginn der UN-Klimakonferenz in Glasgow hat das UN-Umweltprogramm die Gräben zwischen Worten und taten dokumentiert, wie DIE ZEIT vom 28.10.2021 ausführt: „Wind- und Solarenergie werden zwar ausgebaut, aber China will noch mehr Kohlekraftwerke im eigenen Land errichten, Australien seine Kohleförderung aufrechterhalten, Deutschland bleibt nicht nur weltweit größter Produzent von Braunkohle, sondern finanziert weiterhin Öl- und Gasprojekte in aller Welt. Die Prognosen für 2100 liegen derzeit bei weit über zwei Grad.“
  2. Das Wesen der industriellen Produktionsweise liegt darin, dass wir immer mehr Güter mit immer weniger menschlicher Arbeitskraft herstellen können. Ein Phänomen, das durch Automatisierung und Digitalisierung nochmals zugespitzt wird. Massenkonsum ist nicht zu denken ohne Massenproduktion. Verbunden ist diese mit einem massiven Zugriff auf die Ökosysteme.
  3. Dieses Wirtschaftssystem ist nicht nachhaltig. Das einzig Nachhaltige daran ist seine Nicht-Nachhaltigkeit, wie Ingolfur Blühdorn treffend ausführt. Die Debatte verläuft zwischen Systemwandel und Systemwechsel.
  4. Bei den Anhängern des Systemwandels gibt es zwei Richtungen. 1) Effizienzorientierung: „Neue Technologien“, „Green New Deal“, „Circular Economy“, „Öko-soziale Marktwirtschaft“, „Gezähmter Kapitalismus“, „Ökosteuern“, „CO2-Zertifikate“, „Öko-Zölle“; 2) Suffizienzorientierung: „Postmaterielle Lebensstile“, „Postwachstumsökonomie“, „Care-Ökonomie“, „Neue Wohlstandsmodelle“, „Neue Wohlstandsmessung“.
  5. Auch beim Diskussionsstrang des Systemwechsels sind zwei Positionen auszumachen: 1) Änderung der Eigentumsordnung: „Öko-Sozialismus“, „Wirtschafts- & Konsumräte“, „Überwindung des Kapitalozän“. 2) Misch-Ökonomien: Ausgeweiteter Gemeinwohlsektor mit staatlicher Planung, ergänzender Marktsektor, Wirtschaftsdemokratie, Gemeinwohlökonomie, dritter Arbeitsmarkt.
  6. Realpolitisch machbar ist m. E. eine ökosoziale Marktwirtschaft mit wirksamen Ressourcen- und höheren Vermögenssteuern, einer Regulierung der Finanzmärkte, einer transnationalen Besteuerung von Konzernen, verbindlichen Lieferkettengesetzen, mehr Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung der Belegschaften, verpflichtenden erweiterten Unternehmensbilanzen sowie eines ausgeweiteten öffentlichen bzw. Non-Profit-Sektors.
  7. Die Industrieproduktion sowie die moderne, hochmobile Massenkonsumgesellschaft basieren auf der Ausbeutung günstig verfügbarer fossiler Rohstoffe. 80 Prozent des in den letzten Jahrzehnten stark gestiegenen Weltenergieverbrauchs fallen auf Erdöl, Erdgas und Kohle. 25 Prozent der Weltbevölkerung verbrauchen derzeit 75 Prozent der Energie und sind damit für einen Großteil der CO2-Emissionen verantwortlich. Gefordert wird das recht auf ein Energieminimum für alle.
  8. Die Eindämmung der Klimakrise auf die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur auf maximal 1,5 Grad erfordert eine vollständige Dekarbonisierung in den nächsten Jahrzehnten. Das Gefangenendilemma besagt, dass alle Staaten mittun und ihren Beitrag leisten müssen – mittlerweile ist China der größte Emittent an Treibhausgasen. Rechnet man die bisher ausgestoßenen Treibhausgase zusammen, so hätten alle frühindustrialisierten Länder ihr verfügbares Treibhausgasbudget bereits aufgebraucht.
  9. Die Klimawende mit der Dekarbonisierung als wichtigstem Schritt betrifft zudem alle Sektoren. 25 Prozent der weltweiten Treibhausgase entfallen derzeit auf die Landwirtschaft, weitere 25 Prozent auf die Erzeugung von Energie und Wärme, gefolgt von der Industrie mit 20 Prozent und dem Verkehr mit 14 Prozent. Allein die weltweite Zementproduktion ist für 8 Prozent der Treibhausgase verantwortlich, die restlichen 8 Prozent entfallen auf weitere Bereiche wie Müllentsorgungsanlagen, so Daten von IIASA Wien.
  10. Die Klimawende sowie die Nachhaltigkeitswende insgesamt erfordert eine Transformation, die der Größe des Übergangs von der Handwerker- und Bauerngesellschaft zur Industriegesellschaft entspricht. Notwendig sind zahlreiche Wendeszenarien: von der Energie- und Mobilitätswende über die Ernährungs- und Konsumwende bis hin zur Arbeits- und Produktionswende. Doch es gibt systemische Hürden.
  11. Ego-Kapitalismus verträgt sich nicht mit Gemeinwohl. Adam Smith´ Aussage „Der Eigenliebe und nicht dem Wohlwollen des Bäckers verdanken wir, dass wir satt werden“ stimmt nicht mehr. Der Marktwirtschaft sind die Marktplätze abhandengekommen. Großkonzerne bestimmen das Geschehen, der Zugriff auf die Naturressourcen ist gigantisch. Auch die Freihandelstheorie von David Ricardo, der gemäß jedes Land produzieren soll, was es am besten kann, stimmt nicht mehr. Welthandel spielt sich ab in der Konkurrenz aller um den Absatz gleicher Güter.
  12. Es setzen sich nicht jene Unternehmen durch, die sozial und ökologisch verantwortlich wirtschaften, sondern jene mit der größten Marktmacht und den größten Werbebudgets. Der Freiheitsbegriff des Kapitalismus besagt zwar, dass alles möglich und erlaubt ist, auch Proteste etwa gegen Massentierhaltung, Regenwaldzerstörung oder Erdölprofite, letztlich setzt sich aber der Kapitalstärkere durch, wenn es keine verbindlichen Regeln und – im Falle der Dekarbonisierung – keine verbindlichen Ausstiegsszenarien gibt.
  13. Eine weitere systemische Falle liegt in der Gegenwartsversessenheit der modernen Konsumgesellschaft gepaart mit Zukunftsblindheit – das wirft uns die Fridays for Future-Generation vor.  Das Motto lautet: „Konsumenten aller Länder, vereinzelt und zerstreut euch.“ Ablenkung ist angesagt. Wir leben in eklatanten Widersprüchen: Während auf den Umweltseiten der Zeitungen die neuen Klimawarnungen erscheinen, werden in Werbeinseraten die neuen Automodelle oder die aktuellen Billigflüge angepriesen.
  14. Die Wachstumsfixierung und das alleinige Messen von wirtschaftlichem Erfolg durch das BIP erschwert die Transformation. Soziale und ökologische Defensivkosten werden ausgespart, Lebensstile der Suffizienz stehen dem Wachstumsmodell entgegen wie ein Ausspruch eines Bankers deutlich macht. Er erklärt, warum das Fahrrad „der Tod des Planeten“ ist. Der Radfahrer kauft keine Autos, zahlt keine Versicherungen, verursacht keine Unfälle, lebt gesünder. All das trägt nicht zur Steigerung des BIP bei.
  15. Vorgeschlagen werden daher erweiterte Messinstrumente für Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg auf volkwirtschaftlicher wie Unternehmensebene. Beispiele sind die Indikatoren von „Wie geht ´s Österreich“ von Statistik Austria, die Deutschen Nachhaltigkeitsindikatoren angelehnt an die Sustainable Development Goals, das Konzept der Donut-Ökonomie der britischen Ökonomin Kate Raworth, das die Planetary Boundaries mit Indikatoren für Lebensqualität verbindet, oder das Wohlstandsquintett (Denkwerk Zukunft). Für Unternehmen gibt es beispielsweise eine umfassende „Gemeinwohlmatrix“ der Gemeinwohlbewegung (GWÖ).
  16. Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass unsere ausdifferenzierten Ökonomien zusammenbrechen, wenn wir weitgehend auf die Grundbedürfnisse reduziert sind. Nur mit massiven staatlichen Hilfen für Kurzarbeit und Umsatzausfälle konnten Konkurse und große Kündigungswellen verhindert werden.  Corona hat im Jahr 2020 zu einem Rückgang des Welt-BIP um 7 Prozent geführt; zugleich sanken die Treibhausgase um ebenfalls 7 Prozent. Die Klimaforschung sagt, dass wir nun jährlich einen Rückgang der THG-Emissionen um weitere 7 Prozent bräuchten, um das 1,5 Grad-Ziel noch zu erreichen. Jährliche Klimalockdowns sind aber weder möglich noch sinnvoll. Notwendig ist eine geplante Transformation.
  17. Es gibt Parallelen und Unterschiede zwischen Corona- und Klimakrise. Beide erfordern rasches und entschiedenes Handeln und die Staaten als starke Akteure. Die Unterschiede liegen auf der Hand: Die Corona-Krise wird als akute Bedrohung wahrgenommen („Wir fürchten mehr um unser eigenes Leben als um das Überleben der Menschheit“, Richard David Precht), die Maßnahmen werden als vorübergehend angenommen und lokale Schutzmaßnahmen wirken, wenn auch bedingt. Die Klimakrise wird nach wie vor als schleichende Bedrohung wahrgenommen („Meteoriteneinschlag in Superzeitlupe“, Meteorologe Sven Plöger). Die Maßnahmen sind auf Dauer nötig und nur globales Handeln ist letztlich erfolgreich („Gefangenendilemma“ s. oben).
  18. Transformationsforschung reflektiert die Bedingungen und Hürden des Wandels. Ursprünglich wurde der Übergang von Diktaturen in Demokratien erforscht, nun der Übergang von ressourcenintensiven Massenkonsumgesellschaften zu nachhaltigen Ressourcen-Spargesellschaften. Es gibt unterschiedliche Ansätze wie die Change-Agents-Theorie, die Theorie sozialer Diffusionsprozesse, die Theorie der Häufigkeitsverdichtungen, den Ansatz positiver Narrative, den Ansatz des Lobbyings und Agenda-Settings oder den Akteurs- bzw. Multi-Level-Ansatz, der besagt, dass wir auf allen Ebenen und in allen Bereichen Veränderungen brauchen.
  19. Und es gibt zwei Transformationsweisen: 1) Neue Technologie – altes Verhaltensmuster:
    z. B. Umstieg auf Fleischersatzprodukte, Wohnen im Einfamilienhaus im Grünen, aber mit Solarzellen am Dach, Umstieg von Verbrenner auf das Elektroauto. 2) Bekannte Technologie – neues Verhaltensmuster: z. B. Umstieg vom PKW auf das Fahrrad oder den Öffentlicher Verkehr, Verzehr von mehr Gemüse & Obst, Bauen mit Holz und Wohnen im urbanen Verbund. Ersteres erfordert kein Umdenken und eröffnet neue Wachstumsimpulse. Zweiteres erfordert das Erlernen neuer „Öko-Routinen“ (Michael Kopatz), führt jedoch tendenziell zu ökonomischer Schrumpfung.
  20. Wir brauchen beides: Effizienz & Konsistenz sowie Suffizienz; Innovation & Exnovation. Das Ziel muss eine „reduktive Moderne“ (Harald Welzer) sein, in der wir die Errungenschaften der Moderne wie eine offene Gesellschaft oder sozialstaatliche Leistungen erhalten, den Ressourcenverbrauch und die Emissionen aber drastisch senken. Eine Ressourcenspargesellschaft führt jedoch zwangsläufig in eine Postwachstumswirtschaft, ohne dass diese beabsichtigt ist, wie der Experte für Umweltrecht Felix Ekart darlegt.
  21. Herkömmliches Wirtschaftswachstum ist passé. Die Debatte läuft nun zwischen „Grünem Wachstum“ und „Post-Wachstum“. Es werden derzeit große öffentliche Mittel eingesetzt, um die Wirtschaft nach Corona wieder flott zu kriegen und zugleich die grüne Wende anzustoßen. Allein über den EU-Recovery Fond wurden 750 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt, davon sind ca. die Hälfte nicht rückzuzahlen.  30 Prozent sind für Klimamaßnahmen, 20 Prozent für Digitalisierung zu verwenden. Es hätten mehr Öko-Investitionen sein können, aber immerhin. Zudem gibt es große nationale Konjunkturprogramme: Die USA planen 1,75 Billionen Dollar für die nächsten 4 Jahre als Klima- und Sozialpaket; ursprünglich wollte Biden das Doppelte, was er jedoch beim konservativen Flügel der Demokraten nicht durchbrachte. Deutschland hat 2021 130 Mrd. Euro, Österreich 11,6 Mrd. Euro als Konjunkturhilfen veranschlagt.
  22. Der EU-Plan „Fit for 55“ sieht ein Auslaufen des konventionellen Verbrennungsmotors bis 2035 und den Aufbau von Ladeinfrastrukturen vor. Der Schiffsverkehr und Flugverkehr werden in den Zertifikate-Handel einbezogen. Es soll einen CO2-Preis für Einfuhren geben (Carbon Border Adjustment Mechanism). Der Anteil der Energie aus erneuerbaren Quellen soll bis 2030 auf mindestens 40 Prozent steigen (bisheriges Ziel: 32 Prozent), die Energieeinsparverpflichtung der Mitgliedstaaten von bisher 0,8 Prozent auf 1,5 Prozent jährlich steigen. Das sind wichtige Schritte, ob sie reichen werden, bleibt ungewiss. Notwendig wird der gänzliche Ausstieg aus den Fossilenergien. Noch werden diese auch – direkt oder indirekt – öffentlich gefördert. Auch wenn die Investitionsströme die Richtung ändern.
  23. Eine wichtige Rolle in der Transformation wird der Industriewende bzw. der Neuerfindung der Industrie zukommen. Es gibt Hoffnung auf klimaneutralen Zement, Stahl und Kunststoff durch den Einsatz erneuerbarer Energie und Techniken der CO2-Abscheidung. Manche setzen auch auf Atomenergie, eine zweifelhafte und ebenso kostspielige Alternative (Bill Gates fördert sogenannte „Mini-Nukes“, die angeblich sicherer sein sollen). In der Industriewende stehen wir erst am Anfang und all das ist zudem teuer: Der „Ökozuschlag“ liegt bei Zement zwischen 75 und 140 Prozent, bei Stahl bei 16-29 Prozent, bei Ethylen bei 9-15 Prozent (Gates). „Grüner Wasserstoff“ rechnet sich laut dem deutschen Ökoinstitut erst ab einem CO2-Preis von 180 Euro pro Tonnen; derzeit schwankt dieser zwischen 30 und 60 Euro. Teuer und nicht ohne Risiken sind auch Technologien des Geo-Engineerings. Bekämpft werden die Symptome, nicht die Ursachen. Zur Abhängigkeit von den fossilen Energien kommt jene von möglicherweise unbeherrschbaren Eingriffen in das Klimasystem, wie die Journalistin Elizabeth Kolbert in „Wir Klimawandler“ ausführt.
  24. Kostengünstiger ist verstärktes Recycling – das Ziel einer Kreislaufwirtschaft müsste „Cradle to Cradle“ sein – sowie das Setzen auf Alternativstoffe: Holz bei Bauten (mehrgeschossig, „Hybridbauweise“), neue Werkstoffe bei Produkten („Bioökonomie“). Am kostengünstigsten ist die generelle Verbrauchsreduktion („Miniaturisierung“, „Sharing“, „Suffizienz“), notwendig die Konversion ganzer Branchen (Automobil- /Chemieindustrie).
  25. Anbieter und Inhaber von Erneuerbaren Energieanlagen werden Wachstumsbranchen, die Kosten von Erneuerbaren Energieträgern sinken und sind bereits wettbewerbsfähig. Die Speichermöglichkeiten werden besser und billiger. Eine weitere Zunahme des Flächenverbrauchs für Windkraft- und Solaranlagen ist jedoch zu erwarten. E-Mobilhersteller und deren Zulieferbranchen werden ebenfalls wachsen. Der Rohstoffbedarf dafür steigt rasant an, wie ein Forschungsband „Baustelle Elektromobilität“ darlegt.
  26. Die Mobilitätswende ist jedoch vielmehr als der Wechsel des Antriebs bei Motoren. Es geht um die Nutzung des Fahrradpotenzials und die Renaissance des Zu-Fuß-Gehens in der Stadt der kurzen Wege. Wir brauchen autofreie Plätze, Straßen, Wohnanlagen. Wir brauchen den weiteren Ausbau des Öffentlichen Verkehrs und neue Flächentickets. Manche plädieren für und Experimentieren mit Nulltarifsystemen (z.B. Tallinn, Luxemburg). Zudem brauchen wir ein attraktives europäisches Eisenbahnnetz mit Nachtzügen, die Kurzstreckenflüge ersetzen – Flugbenzin muss dafür endlich entsprechend besteuert werden.
  27. Die Einsparung von Wegen ist möglich durch mehr Homeoffice, mehr Onlinekonferenzen, eine 3- oder 4-Tagewoche sowie generell durch wieder mehr Verortung. Heiße Eisen wie die Absetzbarkeit von Dienstwägen und Pendlerpauschalen sind anzugehen, Moratorien für den Ausbau der Auto- und Fluginfrastruktur anzudenken, wie der Ökologe Michael Kopatz ausführt. Das Elektroauto ist nur ein Teil der Lösung – gelöst wären Abgas- und Lärmprobleme sowie stark gemindert der CO2-Ausstoß (der nur mehr bei der Produktion anfällt, wenn der Strom aus EE kommt) bleiben würde der Flächenverbrauch durch die Fahrzeuge in den Städten, dazukommen der höherer Rohstoffverbrauch). Aber E-Mobilität wird kommen und die Automobilbranche stark verändern.
  28. Die Auswirkungen der Mobilitätswende auf die Autobranche sind enorm. E-Autos sind bedeutend einfacher gebaut als Verbrenner. Ein E-Motor hat an die 200 Teile, ein Verbrennungsmotor 1200. Wartungsarbeiten wie Ölwechsel fallen weg. Viele Teile für Elektrofahrzeuge könnten „fast von der Stange gekauft“ werden. Wenn die Aufgaben und das Design einfacher werden, verkürzt sich die Lieferkette. Die Folge ist eine drastische Reduzierung der Autozulieferer sowie die Re-Integration von Produktionsschritten in die Autohersteller. Diese schließen Exklusivverträge oder Joint Ventures mit Batterieproduzenten.  Der Wechsel von einer Basistechnologie zur anderen ist ein disruptiver Prozess. Alte Produktionen werden stillgelegt, neue aufgebaut, wie Matthei/Hanke vom Blog „Arbeit & Wirtschaft“ darlegen.
  29. Zahlen aus dem Band „Baustelle Elektromobilität“: 2017 zählte Deutschlands Automobilbranche 840.000 Beschäftigte, was 2,3 Prozent der Gesamtbeschäftigten und 5,1 Prozent der Wertschöpfung entspricht. Die gesamte Metall- und Elektronikbranche erbrachte 15,3 Prozent der Wertschöpfung und hielt 10,6 Prozent der Beschäftigten. Die Automobil-Branche weist in der BRD mit 146.000 Euro Wertschöpfung pro beschäftigter Person die höchste Produktivität auf. Es gab bereits vor Corona Sättigungstendenzen: 2019 ca. 10 Prozent Rückgang der Stückzahlen. Viele Hersteller und Zulieferer kündigten für 2022-2023 den Abbau von Stellen an: Audi 9500, Daimler mehr als 10.000 weltweit, BMW 5-6000, Bosch 3500, Continental 5-7000. Laut einer Studie aus 2018 wird in der Produktion und Entwicklung von Antriebskomponenten durch E-Mobilität ein Nettoverlust von ca. 75.000-220.000 Arbeitsplätzen bis 2030 vorausgesagt.
  30. Die Transformation der Autobranche wird Wertschöpfung und Arbeitsplätze kosten. Die Konversionspotenziale von Betriebsstätten in Richtung Schienenfahrzeuge oder Windrädern sind begrenzt. E-Mobilität wird einiges an Absatzrückgängen auffangen, aber kein Jobmotor sein. Weitergehende Konversionen und Umqualifizierungen werden nötig sein.
  31. Aus ökologischen Gründen wird die Auseinandersetzung mit Postwachstums-Szenarien unumgänglich, um Rebound-Effekte zu vermeiden. Effizienzsteigerungen werden in der Regel durch Mehrkonsum in anderen Bereichen oder mehr Accessoires (z. B. größere Autos) aufgesogen. Das Ziel muss sein, weniger, aber bessere Güter zu produzieren und zu konsumieren. Generelle Arbeitszeitverkürzungen, innovative Arbeitszeitmodelle, eine volkswirtschaftlich sinnvolle fairere Verteilung von Einkommen und Vermögen, die Reduzierung des privaten Konsums zugunsten hochwertiger öffentlicher Güter wären Bausteine einer Postwachstums-Gesellschaft für die Zeit nach den „grünen Investitionen“. Mehr Zeit statt mehr Lohn wird in anständig bezahlten Branchen zur Zukunftsoption. Produktivitätsfortschritte können in Arbeitszeitverkürzungen umgemünzt werden. Geschätzt wird, dass die Zunahme der Produktivität um 1 Prozent etwa zwei zusätzlichen Urlaubstagen entspricht.
  32. Eine Neujustierung der Steuersysteme mit Ressourcen- und höheren Vermögenssteuern sowie andere Bilder von einem guten Leben – Stichwort „Neue Wohlstandsmodelle“  – bieten die Chance, demokratische Mehrheiten für die gebotene Klima- und Ökowende zu finden. Wie das gehen könnte, führe ich in „Von nichts zu viel – für alle genug“ aus.
  33. Eine „Ökonomie der Verbundenheit“, die ich in meinem neuen Buch „Post-Corona-Gesellschaft“ skizziere, könnte dazu beitragen, Wirtschaften wieder in die Gesellschaft einzubetten. Ecksteine könnten sein: Rückkehr zu Gebrauchswerten; Dinge produzieren, die wir tatsächlich brauchen; Abkehr von positionellen Gütern & Surrogaten für wirkliches Erleben, hohe „Werbesteuern“; Überwindung der Kaufkraftfalle: Wir betreiben eine „Ökonomie für die Satten“, wie der tschechische Ökonom Tomas Sedlacek ausführt, statt für die Hungernden. Notwendig wäre global der Aufbau regionaler Märkte, was auch neue Formen der Entwicklungszusammenarbeit erfordert.
  34. Wichtig wäre die Überwindung des reinen Kosten-Nutzen-Denkens: Statt Hauptsache „billig“ bewusstes Sich-Entscheiden für Güter hoher Qualität, deren Herstellung sozialen und ökologischen Kriterien genügt („Kaufakte“ als „Beziehungsakte“). Weitere Stichworte wären die Förderung von Ehrenamt und Sorgearbeit sowie einer Ökonomie der Nähe: Globalisierung des Wissens, Re-Regionalisierung des Produzierens, Aufbau „pluraler Ökonomien“ mit starker Regionalwirtschaft und begrenzter Weltmarktintegration.
  35. Die Möglichkeiten der Digitalisierung durch „Industrie 4.0“ und eine „Wirtschaftsförderung 4.0“, wie Michael Kopatz vom Wuppertal-Institut vorschlägt, könnten Wirtschaft tatsächlich auf neue, nachhaltige Beine stellen. Ernährungs- und Energiesouveränität würden ergänzt um die Re-Regionalisierung des Erzeugens unserer Alltagsgüter – eventuell auch mit ganz neuen Eigentumsformen.

Hans Holzinger, 30.10.2021 Rückmeldungen: hans.holzinger@jungk-bibliothek.org