„Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit.“ So steht es in Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Doch was meint Arbeit – nur bezahlte oder auch unbezahlte Tätigkeiten? Wie hat sich Arbeit in historischer Perspektive gewandelt? Was bedeutet Arbeit in den Wohlstandsländern und was in ärmeren Ländern des globalen Südens? Wie verändert sich Arbeit durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz? Schließlich: Welche Arbeit ist zukunftsfähig im Kontext der ökologischen Transformation? Diesen Fragen widmet sich der folgende Essay anlässlich des Tages der Arbeit, den wir regelmäßig am 1. Mai in Erinnerung an den Kampf für den 8-Stundentag früherer Arbeiterbewegungen begehen. Der Text endet mit drei möglichen Zukunftsszenarien.

Arbeit in historischer Perspektive

Wenn Wirtschaft die Herstellung der Güter und Dienstleistungen für den menschlichen Bedarf bedeutet, dann ist Arbeit die zentrale Voraussetzung. Nur durch das Tätigwerden können wir Dinge herstellen und einander Dienste tun. Wie diese Arbeit ausgestaltet ist, hat sich in der Geschichte immer gewandelt. Laut Studien zur „Stone Age Economy“ verbrachten Menschen in der Steinzeit täglich etwa nur zwei Stunden mit Arbeit, den Rest des Tages konnten sie sich der Geselligkeit und dem Nichtstun hingeben, wie der Anthropologe Marshall Sahlins ausführt.  Der Historiker Yuval Harari meint gar provokant, dass mit der Sesshaftigkeit die Mühsal der Menschen begonnen habe.  Freilich nicht für alle. Denn noch in der Antike war körperliche Arbeit verpönt, die von Sklaven und Sklavinnen verrichtet werden musste. Erst mit dem sich ausbreitenden Christentum kam es zur Aufwertung von körperlicher Arbeit, wenn auch weiterhin mit Mühsal und Buße verbunden. Arbeit wurde neben das Gebet gestellt – „Ora et labora“ lautete etwa das Gebot der Jesuitenorden, die sich im Mittelalter um die Kultivierung von Land Verdienste erworben haben. Mit dem protestantischen Arbeitsethos wurde Arbeit endgültig zum Ausdruck von Gottgefälligkeit. In Absetzung von der untätigen, von Abgaben der Bauern lebenden Adelsschicht der Feudalgesellschaft emanzipierte sich das Bürgertum durch eigene Arbeit und gewann erstmals auch politische Macht.

Im 17. und 18. Jahrhundert – in den Schriften der Aufklärer und Nationalökonomen – kam es geradezu zu einer emphatischen Aufwertung der Arbeit als Quelle von Eigentum, Reichtum und Zivilität beziehungsweise als Kern menschlicher Selbstverwirklichung, so der Historiker Jürgen Kocha. Er zitiert Immanuel Kant, der die Muße als „leere Zeit“ ab- und die Arbeit zum Lebenssinn aufgewertet hat: „Je mehr wir beschäftigt sind, je mehr fühlen wir, dass wir leben, und desto mehr sind wir uns unseres Lebens bewusst. In der Muße fühlen wir nicht allein, dass uns das Leben so vorbeistreicht, sondern wir fühlen auch sogar eine Leblosigkeit.“

Arbeitsfleiß gilt also seit der bürgerlichen Aufklärung als Grundtugend und bildete auch die Basis des sich entwickelnden Kapitalismus seit dem 18. Jahrhundert. Das neue Industrieproletariat, das vom Land in die Städte zog, verdiente sich unter ausbeuterischen Bedingungen seinen Lebensunterhalt. Erst allmählich konnten durch sich bildende Gewerkschaften und Arbeiterparteien mehr Rechte erkämpft werden.

Wandel der Arbeit heute

In der Agrargesellschaft bedeutete Arbeit für die Mehrheit der Menschen, die zum (Über-)Leben notwendige Nahrung zu produzieren, wetterfeste Behausungen zu errichten und instand zu halten und die für den Alltag nötigen Geräte herzustellen. Die Zahl der Berufe war begrenzt, auch wenn das Handwerk viele unterschiedliche Tätigkeiten umfasste. Die Mittelalter-Forscherin Anette Kehnel schildert mittelalterliche Wirtschaftsweisen vor dem Kapitalismus, die heute in neuer Form an Bedeutung gewinnen könnten und sollten. Etwa die Wirtschaft der Klöster, die mittelalterlichen Commons, die über lange Zeit selbstverständlichen Reparaturberufe, frühe Ansätze von Kreislaufwirtschaften, etwa durch die Lumpensammlerinnen, entstehende Mikrokreditbanken sowie die stadtnahe Landwirtschaft.

In den modernen, arbeitsteiligen Ökonomien stieg die Zahl der Berufe kontinuierlich an. Das Berufslexikon des Arbeitsmarktservice in Österreich geht von mehr als 1.800 unterschiedlichen Berufsbezeichnungen aus.  Die Arbeitsagentur Deutschland weist 1.300 Berufsgattungen aus.  Die starke Ausdifferenzierung der Arbeitswelt ist ein historisch neues Phänomen. Sie hängt mit Spezialisierung, zunehmender Komplexität, aber auch der Schaffung immer neuerer Dienst-leistungen zusammen. In Hochkonsumländern macht der Anteil der im Dienstleistungsbereich Beschäftigten mittlerweile 70 bis 80 Prozent aus. Der Anteil im Produktionssektor ist auf 15 bis 20 Prozent geschrumpft. In der Land- und Fortwirtschaft sind nur mehr ein bis drei Prozent der Beschäftigten zu finden.

Erweiterter Arbeitsbegriff

Häufig wird Arbeit mit Erwerbsarbeit gleichgesetzt, was jedoch in die Irre führt. Zum einen überwiegt in den Ländern des globalen Südens nach wie vor die informelle Arbeit, also jene Arbeit, die weder mit geregelten Löhnen noch Arbeitsrechten verknüpft ist. Laut Internationaler Arbeitsorganisation beträgt der Anteil der informell Beschäftigten außerhalb der Landwirtschaft weltweit an die 50 Prozent, in Subsahara-Afrika sowie in Südasien gar über 75 Prozent, also drei Viertel der arbeitenden Bevölkerung.  Zum anderen gibt es auch in unseren Wohlstandsländern genügend Arbeit, die nicht entlohnt wird, die außerhalb des monetären Sektors stattfindet – Hausarbeit, Sorgearbeit, ehrenamtliche Arbeit.

Das Ziel von Arbeit ist die Herstellung der zur Deckung des menschlichen Bedarfs notwendigen Güter und Dienstleistungen unter Zuhilfenahme von Werkzeugen. In der herkömmlichen Sichtweise werden nur am Markt gehandelte Güter und Dienstleistungen erfasst. Arbeit meint in diesem Sinne eben nur Erwerbsarbeit. Ein erweiterter Wirtschafts- und Arbeitsbegriff umfasst auch nicht monetär erbrachte Leistungen und damit auch nicht bezahlte Arbeit. Wir müssen daher von „pluraler Arbeit“ oder einer „Tätigkeitsgesellschaft“ sprechen. Die Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack plädiert für einen weiten Arbeitsbegriff: „Wenn wir unter Arbeit alle Tätigkeiten verstehen, mit denen Menschen einen Beitrag für andere leisten oder zum Funktionieren der Gesellschaft beitragen, dann ist menschliches Leben ohne Arbeit gar nicht denkbar.“  Würde man unbezahlte Arbeit aber mit einem durchschnittlichen Frauenlohn belegen, würde dies für Österreich in etwa 37 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen, so die feministischen Ökonominnen Bettina Haidinger und Käthe Knittler.

Arbeit im Kontext von Nachhaltigkeit

Mittlerweile gibt es zahlreiche Unternehmen, die eine 4-Tage-Woche eingeführt haben – viele davon mit Lohnausgleich. Zu unterscheiden sind jedoch Varianten mit und ohne Arbeitszeitverkürzung. Der in vielen Ländern rechtlich möglichen Komprimierung der Arbeitsstunden auf vier Tage – ohne Arbeitszeitverkürzung –  ist das Modell mit tatsächlicher Reduktion der Arbeitszeiten vorzuziehen. Bisher verwirklicht wird dieses aber vor allem in Sektoren mit hohen Gewinnmargen wie der der IT- oder PR-Branche. Auch erste Staaten experimentieren mit der 4-Tage-Woche. 86 Prozent der Isländer und Isländerinnen hatten 2021 bereits einen Rechtsanspruch auf die verminderte Arbeitszeit von 35 bis 36 Stunden – im Pflege-Schichtdienst sind es sogar nur 32, so ein Bericht der „Wellbeing Economy Alliance“., der sich Island angeschlossen hat. Wirtschaftlicher Erfolg wird dabei nicht mehr allein am Bruttoinlandsprodukt gemessen, sondern am Wohlbefinden der Menschen.

An Bedeutung gewinnen auch Modelle der freiwilligen Verkürzung der Arbeitszeit. Gerade junge Menschen mit guter Ausbildung drängen darauf, Beruf, Familie und Freizeit besser vereinbaren zu können. Neben postmateriellen Lebensstilen spielen dabei verbesserte finanzielle Ausgangslagen etwa durch die Vererbung einer Wohnung eine Rolle. Also: Wer es sich leisten kann, tendiert dazu, seine Arbeitszeiten herunterzuschrauben. Zudem gibt es bereits sektorale Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitsgebern nach dem Modell „Mehr Freizeit statt mehr Lohn“, etwa in der Elektro(nik)branche.

Neuer Arbeitskräftemangel bremst Arbeitszeitverkürzungen

Die Wirtschaftsverbände warnen vor der Lust auf weniger Arbeiten und rufen nach mehr „Arbeitsbereitschaft“. In der Tat sind aufgrund eines Arbeitskräftemangels in manchen Branchen, etwa bei Facharbeitern und Facharbeiterinnen, im Tourismus oder in der Pflege Arbeitszeitverkürzungen derzeit schwer umsetzbar. Die von manchen geforderte 32-Stundenwoche wird also weiterhin Zukunftsmusik sein. Doch geht es gerade in Branchen mit Arbeitskräftemangel darum, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, um attraktiver für junge Menschen zu werden – dazu zählen insbesondere auch neue Arbeitszeitmodelle.

Arbeit neu zu denken und den Stellenwert von Erwerbsarbeit zu relativieren, wird im Kontext von Nachhaltigkeit sowie suffizienten Lebensweisen in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen. Studien zeigen, dass kürzeres Arbeiten durchaus positive Effekte in Bezug auf Umweltschonung hat. Das Umweltbundesamt in Berlin hat die Effekte einer Erwerbsarbeitszeitreduktion auf Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen für Deutschland abgeschätzt. Dazu wurden die Auswirkungen einer möglichen Erwerbsarbeitszeitverkürzung in drei Szenarien analysiert. Die Szenarien unterscheiden sich hinsichtlich der Umsetzung der Arbeitszeitreduktion, einem Lohnausgleich und der Nutzung der zusätzlich zur Verfügung stehenden Zeit. Im Ergebnis wird unter anderem deutlich, dass der sogenannte Einkommenseffekt eine wesentliche Rolle für den Energieverbrauch und die Emissionen spielt. Das heißt erst bei Lohnverzicht komme es auch zur Reduktion der Umweltbelastungen.

Zukunftsperspektive „Green Jobs“

Laut Europäischer Union sind Green Jobs Arbeitsplätze in der Herstellung von Produkten, Technologien und Dienstleistungen, die Umweltschäden vermeiden und natürliche Ressourcen erhalten. Indem wir unsere Volkswirtschaften ökologisieren, könnten wir qualitativ hochwertige Produkte liefern, grüne Jobs zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schaffen und gleichzeitig den Klimawandel sowie die Umweltzerstörung bekämpfen, heißt es in einer Studie „Green Jobs. Success and Opportunities for Europe“. Vorgestellt werden darin Vorzeigebeispiele aus zahlreichen Regionen der EU. Die EU könne von solchen Bemühungen nur profitieren. Eine „grüne Politik“ würde es ermöglichen, Exporte im Wert von zusätzlich 25 Milliarden Euro pro Jahr zu generieren, zudem würden die Energiekosten bis 2050 um 350 Milliarden Euro pro Jahr gesenkt werden. Die Abhängigkeit von importierter Energie und zu volatilen Preisen gekauften Ressourcen würde sinken und die Versorgungssicherheit Europas gestärkt. Die Einbremsung der Klimakrise wird neue Arbeitsplätze erfordern. Nach einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation wären für die Erreichung des Pariser Klimaziels von 1,5 bis 2 Grad maximaler Erhöhung der globalen Temperatur an die 18 Millionen grüne Jobs bis 2030 nötig – dabei wird freilich nicht gegengerechnet, dass Jobs in nicht nachhaltigen Sektoren wegfallen werden.

Arbeit im Kontext von Künstlicher Intelligenz und digitaler Revolution

Mittlerweile existieren zahlreiche Studien über die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt. Unterscheiden lassen sich solche, die vor einem drastischen Rückgang an Arbeitsplätzen mit großen sozialen Friktionen warnen, von jenen, die darin die Chance für ein besseres Leben für alle jenseits von Erwerbsarbeit sehen. Eine dritte Gruppe vertritt die These, dass auch die Rationalisierungswelle durch die Digitalisierung zu neuen Jobs führen werde – wie dies bei früheren Rationalisierungswellen der Fall war.

Aufsehen erregte die 2014 erschienene Publikation „Second Maschine Age“ der MIT-Mitarbeiter Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee, die starke Umbrüche im Erwerbsarbeitsleben prognostizierten und von einer „Revolutionierung der Volkswirtschaften“ sprachen. Ihnen folgten weitere Untersuchungen, auch solche mit bedeutend weniger Technikeuphorie. Die Prognosen fallen dabei unterschiedlich aus. Während etwa die US-Forscher Carl Benedikt Frey und Michael Osborne 47 Prozent der in ihrem Land Beschäftigten in die „High Risk“-Kategorie einordnen, also mit hohem Ersetzbarkeitsrisiko einstufen,  gehen Untersuchungen für Deutschland von deutlich geringeren Werten aus.

Einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation aus 2023 zufolge wird Künstliche Intelligenz vermutlich eher Arbeitsplätze schaffen als vernichten. Aber es komme zu möglichen Veränderungen der Qualität von Jobs – insbesondere mit Blick auf Arbeitsintensität und Autonomie. Der Studie zufolge dürfte bei Bürotätigkeiten etwa ein Viertel der Aufgaben vom Einsatz Künstlicher Intelligenz betroffen sein, bei Führungskräften und im Technikbereich wird von einem eher geringen Einsatz ausgegangen. Warnungen vor einem drastischen Verlust an Erwerbsarbeit, etwa des Philosophen Richard David Precht, der als soziale Abfederung ein bedingungsloses Grundeinkommen fordert, stehen also Prognosen gegenüber, die den Wandel der Tätigkeitsbereiche in den Fokus stellen.

Arbeit global – Forderung nach globalem Mindestlohn

Gewerkschaften nützen den Tag der Arbeit, um auf weitere Arbeitszeitverkürzungen zu drängen und die soziale Absicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter zu verbessern. Wirtschaftsverbände verweisen auf die Erfordernisse an Erwerbsarbeit, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben – es wird in diesem Kontext sogar eine erneute Verlängerung der Regelarbeitszeit in Spiel gebracht. Die Österreichische Industriellenvereinigung hat vor kurzem die Rückkehr zur 41-Stunden-Woche verlangt. Übersehen werden in diesen Debatten die nach wie vor problematischen Arbeitsbedingungen auf den Plantagen,  in den Minen und Fabriken der Länder des globalen Südens. Dort wird für unseren materiellen Wohlstand geschuftet. Es sind NGOs wie Südwind oder das Netzwerk „Weltumspannend arbeiten“, die auf Missstände hinweisen.

Ein globaler Mindestlohn würde die wirtschaftliche Lage zahlreicher Menschen in den Ländern des Südens markant verbessern, er würde die Ausbeutung durch 50- oder 60-Stundenwochen unterbinden, da diese für Unternehmen nicht mehr lukrativ wäre, und damit mehr Menschen in Arbeit bringen, so Georgios Zervas und Peter Spiegel, Autoren von „Die 1-Dollar-Revolution“. Sie fordern einen Dollar als Grenze für ein Midndesteinkommen. Die Konsumentinnen und Konsumenten würden diese „Verteuerung“ kaum spüren, da die Löhne für die in Entwicklungsländern produzierten Waren nur einen marginalen Anteil am Endpreis ausmachen, so die beiden. Vorgerechnet wird dies am Beispiel einer Textilarbeiterin in Bangladesch: Für das Zusammennähen einer Jeans bekommt diese derzeit etwa 15 Cent, bei einem Mindestlohn von einem Dollar wären es 45 Cent. Bezogen auf den Durchschnittspreis einer in Deutschland verkauften Jeans würde die Kostensteigerung jedoch nur 0,4 Prozent ausmachen. Ein sinnvoller Vorschlag – bleibt nur die Frage, wer ihn umsetzen soll. Es braucht auch hier wohl weiterhin gewerkschaftlicher Kämpfe vor Ort.

Resümee: Drei mögliche Zukunftsszenarien

Der Arbeitsmarkt wird sich im Zuge der ökologischen Transformation verändern. Neue Fertigkeiten und Qualifikationen im Bereich von Green Jobs werden ebenso nötig sein wie die Öffnung für neue Arbeitszeitmodelle im Kontext postmaterieller Lebensstile. Gute Arbeitsbedingungen und Arbeitszufriedenheit spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen für die ökologische Wende zu gewinnen. Gesprochen wird von „Just Transition“. Und: Arbeit ist mehr als Erwerbsarbeit. Konzepte wie Mischarbeit, plurale Arbeit oder Care-Arbeit verweisen darauf.

Denkbar sind drei mögliche Zukunftsszenarien.  Im Szenario  „Wachstum“ wird auf eine weitere Erhöhung der Produktivität und des Konsums gesetzt, angetrieben durch einen „grünen und digitalen Kapitalismus“. Weiteres Konsumwachstum würde den Unternehmen zusätzliche Gewinne und den Staaten Steuereinnahmen bringen, ohne die Verteilungsfrage stellen zu müssen. Die Produktion würde laut Vertretern eines „grünen Wachstums“ ökologisiert. Erwerbsarbeit wird in diesem Szenario also weiterhin als Konsumtreiber gesehen. Die notwendigen öffentlichen Aufgaben werden durch weiteres Wachstum gesichert –  „High Tech“ finanziert sozusagen „High Touch“.

In zweiten Szenario tritt eine gute Grundversorgung mit öffentlichen Gütern in den Vordergrund – dazu zählen leistbares Wohnen für alle, gute Schulen und Ausbildungsplätze, eine gute und für alle frei zugängliche Gesundheitsversorgung, eine gesicherte Betreuung im hohen Alter. Soziale Dienstleistungen spielen in diesem Szenario eine wichtige Rolle. Sie sind nicht rationalisierbar und werfen auch keine Rendite ab. Neben Steuereinnahmen aus einem High Tech-Sektor müssen in diesem Szenario aber neue Finanzierungsquellen für den Staat erschlossen werden – in Diskussion sind Umwelt-, Vermögens- und Erbschaftssteuern. Das Erwerbsarbeitsvolumen würde wachsen, weil viele Jobs etwa in einer flächendeckenden Kinderbetreuung sowie im Pflegebereich anfallen würden. Der private Konsum würde wichtig bleiben, aber hinter die soziale Grundversorgung zurückfallen. Mäßiges Wirtschaftswachstum würde als Ziel weiterverfolgt.

Das Szenario „Suffizienz“ setzt auf neue Lebensstile der Konsumreduktion, die auch zur Wachstumsrücknahme und einer Reduzierung der Erwerbsarbeit führen würden. Die Menschen würden wieder mehr Tätigkeiten in Eigenarbeit verrichten – in der Betreuung der Kinder wie der älteren Menschen, im Bereich des Reparierens von Gütern ebenso wie im Bereich der Nachbarschaftshilfe. Der private und der öffentliche Wirtschaftssektor würden schrumpfen, der Wegfall von Arbeitsplätzen in nicht nachhaltigen Branchen nur bedingt durch neue Jobs im Ökologie- und Sozialbereich wettgemacht.

Das Szenario grünen Wachstums wird derzeit sowohl in der Politik also auch bei Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften favorisiert. Die Potenziale technologischer Innovationen sind in der Tat noch nicht ausgeschöpft, seitens der Nachhaltigkeitsforschung wird aber betont, dass die technologische Wende allein die Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs auf das notwenige Niveau nicht schaffen wird – Windräder, Fotovoltaik-Paneele und E-Autobatterien brauchen auch Rohstoffe. Eine deutlich höhere Besteuerung von Vermögen und hohen Einkommen, wie dies in Szenario zwei gefordert wird, kann in Zukunft durchaus politische Mehrheiten finden, da die Vermögensunterschiede mittlerweile obszöne, demokratiegefährdende Ausmaße angenommen haben und die Staaten auf neue Finanzierungsquellen angewiesen sein werden. Ob sich Lebensstile größerer Genügsamkeit durchsetzen werden, bleibt ungewiss, an Attraktivität können sie allemal gewinnen. Entscheidend wird in jedem Fall sein, die Wirtschaft sowie die öffentlichen Haushalte geplant und schrittweise aus der Wachstumsabhängigkeit zu führen, um Wirtschafts- und Lebensweisen innerhalb der planetaren Grenzen sicherzustellen. Nach dem Motto: „Degrowth by design, not by desaster“. Gelingt dies nämlich nicht, dann werden die ökologischen Folgekosten den Wohlstand auffressen – Arbeit gibt es auch dann, aber eben jene, um nach den Klimaschäden wieder aufzuräumen.

Mag. Hans Holzinger ist Wirtschafts- und Sozialgeograph und war dreißig Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg. Als Aitor und Vortragender beschäftigt er sich mit neuen, nachhaltigen Wohlstandsmodellen. Am 2. Mai 2024 erscheint sein neues Buch „Wirtschaftswende. Transformationsansätze und neue ökonomische Konzepte im Vergleich“ beim Münchner oekom-Verlag. Mehr: www.hans-holzinger.org/wirtschaftswende.