Leicht gekürzt erschienen in Salzburger Nachrichten vom 30.8.2022

Jahrelang wurde in der Nachhaltigkeitsdebatte argumentiert, dass fossile Energie viel zu billig ist und nie und nimmer die wahren Kosten trägt. Nun sind die Preise zugegebenermaßen stark gestiegen –um knapp 100 Prozent bei Heizöl, über 70 Prozent bei Gas, 56 Prozent bei Diesel und 42 Prozent bei Superbenzin (Vergleich Mai 2021 zu 2022). Nicht weil eine tatsächlich wirksame CO2-Steuer eingeführt worden wäre, sondern wegen Putins Krieg gegen die Ukraine bzw. Russlands Drosselung der Energielieferungen als Reaktion auf die Sanktionen. Ob der Ruf nach einem Preisdeckel, wie er immer lauter wird, Sinn macht, ist zu bezweifeln. Dieser würde, wenn überhaupt, nur EU-weit Sinn machen, weil sonst Österreich den Energiepreis benachbarter Länder mitfördern würde. Schwer wiegt aber auch die Gefahr, dass Energiekonzerne die Preise weiter erhöhen könnten, wenn der Staat die Differenz zum Deckel berappt. Zudem würde es keinen Anreiz geben, Energie zu sparen, der Verbrauch würde nicht sinken, was die Angebotslücke weiter verschärfen könnte.

Am meisten wiegt jedoch das Argument, dass ein Preisdeckel nie sozial treffsicher ist, wie die Wifo-Ökonomin Claudia Kettner-Marx festhält. Menschen mit höheren Einkommen verbrauchen auch mehr Strom, Gas und Treibstoff als solche mit einem niedrigen: „Die ganz einkommensschwachen Haushalte würden von einem Spritpreisdeckel gar nicht davon profitieren, weil sie kein Auto haben“, so die Ökonomin.[1]  Allenfalls Sinn machen würde, dass ein Grundbezug an Strom oder Gas gestützt wird, wie Wolfgang Urbantschitsch von e-Control vorschlug.[2] Noch wirksamer wäre, die Profite der Energiekonzerne, die in Österreich meist ohnedies die öffentliche Hand als Mehrheitseigentümer haben, abzuschöpfen und jenen Haushalten zukommen zu lassen, die wirklich in Not sind. Etwa 10 Prozent der Menschen in Österreich lebt unter oder an der Armutsgrenze.

Um der Klimakrise noch wirksam entgegnen zu können, brauchen wir nicht nur einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energieträger, sondern bedeutend mehr Anstrengungen im Bereich des Energiesparens. Würde die von uns Durchschnittskonsumbürgern verbrauchte Energie körperlich verrichtet werden, dann bräuchten wir pro Kopf 60 bis 70 Energiesklaven, wie der verstorbene Physiker Hans-Peter Dürr berechnet hatte. Es geht darum, die thermische Sanierung der Gebäude zu forcieren – von derzeit etwa 1 Prozent des Altbestands auf 3 oder 5 Prozent jährlich. Die Zimmertemperatur lässt sich im Winter ohne Komfortverlust um ein paar Grad herunterschrauben. Großzügige Förderungen von Sanierungen und Heizungstausch bringen eine langfristige Entlastung von hohen Energiepreisen. Energiegutscheine und Heizkostenzuschüsse könnten die Preise bei jenen abfedern, die nicht umsteigen können. Noch gibt es an die 600.000 Ölkessel in österreichischen Wohngebäuden. Die Mobilität ist schleunigst auf neue Beine zu stellen – der Individual-Verkehr ist nach wie vor das größte Sorgenkind der Klimapolitik in Österreich. Wenn schon die Pandemie nicht den Umstieg auf eine nachhaltige Mobilität geschafft hat, so könnte dies die aktuelle Energiekrise erreichen. Das Klimaticket ist hier ein guter Anfang. Der Umstieg auf eine stärker pflanzlich orientierte Ernährung würde nicht nur Energie sparen, sondern auch gesünder sein.

Abschied vom gewohnten Konsumniveau und Statusdenken

Wenn wir die multiplen Umweltkrisen tatsächlich ernst nehmen, dann müssen wir uns von dem zur Routine gewordenen Konsum- und Freizeitniveau verabschieden. Wir können dafür aber neue Lebensqualität gewinnen. Noch einmal: Jenen Menschen mit den niedrigsten Haushaltseinkommen soll und muss unter die Arme gegriffen werden – mit Zuschüssen, a la Long aber mit höheren Mindesteinkommen und höheren Sozialleistungen für Erwerbslose und Erwerbsunfähige. Aber viele Menschen haben durchaus Wohlstandspuffer – mich eingerechnet. Während die Benzinpreise stiegen, fuhren viele auf Pfingsturlaub ans Meer – 28 Kilometer Stau wurden allein an der Salzburger Tauernautobahn gemessen. Für alle kann das Befüllen des Tanks also nicht das Problem sein. Die Herausforderung besteht für die Pendler, die täglich weite Strecken mit dem Auto zurücklegen (müssen). Ein anderes Beispiel: Nun gibt es große Aufregung, weil zu wenig Flüge angeboten werden. Es gibt zwar ein Anrecht auf erwerbsarbeitsfreie Zeit, aber kein Grundrecht auf Fliegen und keines für einen jährlichen Urlaub auf den Malediven. Unterstützung brauchen jene, die nie an einen solchen Urlaub denken können – auch ohne Inflation und teure Energiekosten. Für alle anderen wäre es angebracht, unseren Lebensstil zu überdenken.

Die Höhe des materiellen Konsumniveaus multipliziert mit der Anzahl der Menschen, die sich diesen leisten können, bestimmt den Umweltverbrauch. Das Paradox der Ökologiefrage lautet daher: Das Problem ist die unfair verteilte Kaufkraft und dass nicht wenige über zu viel Geld für ein nachhaltiges Leben verfügen. Es geht nicht allen immer schlechter. Selbstverständlich treffen höhere Energiepriese auch die Industrie und verteuern damit auch unsere Produkte. Aber das Ziel muss ein Doppeltes sein: besser zu produzieren, z. B. nur mehr langlebige Güter, und weniger produzieren. (Weitgehend) immaterielle Güter wie soziale Dienstleistungen können weiterwachsen, der Güterkonsum muss jedoch schrumpfen, weil in jedem Produkt Ressourcen und Energie stecken.

Von der Wachstums- zur Wohlbefindensökonomie

Wir werden Wohlbefinden neu definieren müssen – nicht der Statuskonsum macht Zufriedenheit aus; dieser ist ein endloses Steigerungsspiel. Es geht um Werte wie Gesundheit, intakte Familien, Freunde, gute Nachbarschaften, Arbeit, die Sinn macht und von der man gut leben kann, Zeitwohlstand für alle. Und es geht um hochwertige öffentliche Leistungen wie gute Schulen und Kindergärten, barrierefreie Kultur- und Bildungsangebote, ein soziales Netz, das niemanden zurücklässt, eine Gesellschaft, in der sich alle fair behandelt fühlen. Dafür um politische Mehrheiten zu werben, wird notwendig sein, wenn wir die Umweltkrisen meistern wollen. Alle reichen Länder müssen dafür ins Boot geholt werden, um den ihnen abzuverlangenden Anteil an den Schrumpfungen zu übernehmen, was keineswegs konfliktfrei sein wird – Konzerne sind durchwegs wachstumsorientiert.

Das derzeitige Wachstumsmodell ist aber auch sozial nicht treffsicher, denn Wirtschaftswachstum kommt beileibe nicht immer bei denen an, die es brauchen – im Nord-Süd-Kontext, aber auch innerhalb unserer wohlhabenden Gesellschaften. Ein Viertel des globalen Bruttosozialprodukts geht an die reichsten fünf Prozent der Weltbevölkerung, rechnet der Wirtschaftsanthropologe Jason Hickel vor. Ein Viertel an Arbeit, ein Viertel an Ressourcen und Energie geht drauf, um diese besonders Reichen noch reicher zu machen. Wir brauchen keine Wachstumswirtschaften mehr, sondern „Wohlbefindensökonomien“, meint er. Die Indikatoren dafür müssen nicht mehr erfunden werden – sie gibt es bereits: von den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen bis hin zum Bruttonationalglück im asiatischen Bhutan.

Die mit dem gestiegenen Wohlstand einhergehende Gegenwartsversessenheit führt zu Zukunftsblindheit. Dazu gibt es folgenden Witz: Zwei Männer fahren mit dem Auto. Sagt der eine: Und was ist, wenn uns das Benzin ausgeht? Der andere darauf: Dann fahren wir erstmal einfach weiter. Darin liegt unser tieferes Problem. Vielleicht üben wir uns wieder stärker in den Dingen, die nichts kosten, aber das Leben schöner machen – mit Freunden Karten- oder Fußballspielen, in die Natur gehen, die Seele baumeln lassen, öfter einfach nichts tun und sich der Muße hingeben. Das ist für alle ohne Wirtschaftswachstum möglich – eine faire Verteilung des gemeinsam Erwirtschafteten vorausgesetzt.

Mag. Hans Holzinger ist Nachhaltigkeitsexperte und Senior Adviser der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg. Zuletzt erschien sein Buch „Post-Corona-Gesellschaft“.

hans.holzinger@jungk-bibliothk.org | www.hans-holzinger.org


[1] Im Gespräch mit der „Wiener Zeitung“ (11.7.2022)

[2] ZIB 2, 11.7.2022