„Alle reden vom Klima. Wir zerstören es“ – Diesen Graffitispruch fand ich auf einer Hausmauer der schwäbischen Stadt Freiburg. Er könnte an jeder Hausmauer jeder Stadt stehen, denn er drückt scharfsichtig aus, wo wir stehen in Bezug auf die Klimakrise: Die menschengmachte Erderwärmung ist zwar in der Gesellschaft angekommen, so Recht lassen wir die sich verschärfende Krise  – wahrscheinlich sollte man schon von einer sich anbahnenden Katastrophe sprechen-, jedoch nicht an uns heran.

Das Leben nimmt weiter seinen Lauf, alte Routinen verlassen wir nur ungern. Ausreden gibt es zuhauf: „Das Problem sind die anderen, zum Beispiel die Chinesen, weil die so viele sind. Klimaschutz ja, aber bitte nicht zu radikal – alles mit Maß und Ziel. Tempobeschränkungen auf den Autobahnen brauchen wir nicht – wir heben sie wieder auf!“ Oder: „Wir werden da sicher technologische Lösungen finden. Wir haben ja noch Zeit. Und: „Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm, als behauptet wird. Vielleicht sind es ja doch die Sonnenflecken oder der natürliche Lauf der Natur. Klimaveränderungen hat es ja schon immer gegeben.“

Wir kennen die Ausreden und Ausflüchte. Wir kennen aber auch die Studien der Klimaforschung. Die Berichte des International Panel on Climate Change, einem Zusammenschluss namhafter Klimaforscher:innen aus aller Welt, werden jedes Jahr alarmierender. Das 1,5 Grad-Ziel ist in weiter Ferne, so der sechste Sachstandsbericht aus diesem Jahr. Die Wetterextreme nehmen zu – mit ihnen Dürren, Hochwasser, Ernteausfälle, marode Wälder, wie die Forstwirtschaft warnt. Versicherungen schlagen Alarm, dass Risiken bald nicht mehr versicherbar sein könnten, wenn sich die Lage weiter verschärft. Ja, es gibt Neuansätze und die Erneuerbaren Energietechnologien werden immer besser. Aber die Wende ist noch lange nicht in Sicht: Die Internationale Energieagentur betonte vor kurzem, dass die Öl- und Gasindustrie derzeit nur 2,5 Prozent in erneuerbare Technologien investiere, 97,5 Prozent würden weiterhin ins traditionelle Geschäft fließen.[1] Der Internationale Währungsfonds vermeldete meldete, dass aktuell ganze 8 Billiarden US-Dollar jährlich in fossile Energien investiert wird, 2 Billiarden Dollar sind in den Jahren 2020 und 2021 dazugekommen.[2]

Wir haben die Gefährlichkeit der Klimakrise noch nicht begriffen, weder rational noch emotional – ein physikalisches Großexperiment, dass wir nicht auf Knopfdruck abstellen können, wie ein Experiment im Labor. Aber wer ist „Wir“? Ich meine damit die Mehrheit der Menschen in den wohlhabenden Ländern einschließlich der neuen Reichen in den Transformationsländern. Täglich wälzen sich unzählige Autos durch die Städte – allein im Bundesland Salzburg werden an einem Werktag an die 11 Mio. km mit dem Auto zurückgelegt. In bunten Prospekten werden Fern(flug)reisen an schöne Strände in aller Welt angeboten, Kreuzschifffahrten boomen. Supermärkte bieten Fleischpakete zum Billigstpreis an – Tierleid hin oder her. Das Mastfutter stammt aus riesigen Monokulturen auf abgeholzten Regenwäldern. Der Begriff der „imperialen Lebensweise“ bringt es auf den Punkt.

Doch nicht allen ist das egal. Genau vor fünf Jahren ging ein junges schwedisches Mädchen, das die Berichte aus der Klimaforschung nicht verdrängen konnte, auf die Straße. Was die 15-Jährige mit ihrem Pappschild vor dem schwedischen Parlament damals auslöste, muss man heute kaum mehr jemandem erklären: Schon 2019 war aus ihrem „Schulstreik fürs Klima“ die Bewegung „Fridays for Future“ (FFF) geworden, der sich weltweit Millionen großteils junge Menschen anschlossen. [Anmerkung: Die einseitige Stellungnahme von Greta Thunberg zu Israel und Palästina war problematisch, ihre Rolle als Katalysatorin für die Klimabewegung aber ist wertzuschätzen.]

So wie es physikalische Kippunkte gibt, die wir im Zusammenhang  mit der Klimakrise vielmehr fürchten sollten, gibt es soziale Kipppunkte. Thunberg hat einen solchen ausgelöst. In zahlreichen Ländern auf allen Kontinenten bildeten sich Gruppen, die zum Schulstreik aufriefen. Jeden Freitag war Demo-Zeit statt normaler Schulzeit. Dazu kamen die Parents for Future, die Seniors for Future oder die Scientists for Future, bei denen auch ich aktiv bin.

Auch auf Salzburg griff das Feuer der Bewegung über. „Wir wollen, dass JETZT was geschieht, um für ALLE gleichermaßen eine lebenswerte Zukunft zu sichern! Es wird Zeit für Veränderungen, auch in Salzburg !“ – so ist auf der Homepage von Fridays for Future zu lesen. Und weiter: „Wir sind engagierte Menschen aus Salzburg und Umgebung, die nicht mehr zusehen wollen, wie ihre Zukunft verspielt wird.“ Programmatisch der letzte Satz der Kurzbeschreibung: „Wir sind antirassistisch, antisexistisch, antifaschistisch und demonstrieren friedlich!“

Eine der ersten, die 2019 Demos in Salzburg organisierte, war Anika Dafert aus Radstadt. Als Schülerin wollte auch sie nicht länger zusehen. So wie die vielen anderen jungen Menschen, die sich der Gruppe in Salzburg anschlossen. Jeden Freitag versammelten sich Schülern und Schülerinnen am Alten Markt mit ihren Transparenten, die auf das Wegschauen der Politik, aber auch der meisten Menschen, hinwiesen. Mit Sprüchen wie „Wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“ liefen sie durch die Gassen der Altstadt, um wachzurütteln. Höhepunkte sind die jährlichen Klimastreiks im März und September, bei denen weltweit Millionen auf die Straße gehen – auch Salzburg ist dabei!

Mitglieder von Fridays for Future sind mittlerweile nicht nur als Demonstrierende, sondern als bestens informierte und wache Bürger:innen in den Medien präsent. Sie wurden und werden auch bei internationalen Konferenzen hofiert. Im September 2019 fuhr Anika mit Bundespräsident Van der Bellen zur Klimakonferenz der Vereinten Nationen nach Madrid – sowie viele andere aus der Bewegung, neben Greta Thunberg etwa Vanessa Nakate, die in Uganda eine Fridays for Future-Gruppe ins Leben gerufen hatte. In ihrem Buch „Unser Haus steht längst in Flammen“ schildert die Klimaaktivistin die Auswirkungen der Klimakrise in Afrika!

Ein paar Jahre, nachdem Fridays for Future gegründet wurde, entstand eine weitere Klimabewegung junger Menschen – „Erde brennt“. Der Name klingt dramatisch, werden sich vielleicht einige denken. Aber einer der renommiertesten Klimaforscher, Hans Joachim Schellnhuber, hat bereits 2015 ein Buch mit dem Titel „Selbstverbrennung – Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff“ veröffentlicht. Wie entstand „Erde brennt“? Gruppen in Österreich haben im Rahmen der internationalen Bewegung End Fossil Unis oder Schulen besetzt. Unter den Aktiven waren viele Studierende, aber auch andere haben sich der Bewegung angeschlossen. In Salzburg kam es Ende November 2022 zu einer vierwöchigen Unibesetzung.

Die Hauptforderung an die Universität lautete, dass alle Studierenden in ihrem Studium ein Minimum an Lehrveranstaltungen zu den aktuellen Krisen belegen müssen, in denen zumindest ein gewisses Basiswissen vermittelt wird. „Da die soziale Dimension mit der ökologischen eng zusammenhängt und beide unserer Meinung nach immer zusammen  gedacht werden müssen, haben wir ein Querschnittsmodul mit Lehrveranstaltungen zu sozial-ökologischen Krisen gefordert“, erzählte  mir Nino, eine Aktivistin aus der Bewegung von „Erde brennt Salzburg.“ In Angebot sollten unterschiedliche Lehrveranstaltungen sein, aus denen die Studierenden wählen können. In Gesprächen nach der Besetzung vor allem mit dem Senat der Universität wurden, auch unterstützt von der ÖH, Möglichkeiten ausgelotet und der Forderung wurde schließlich nachgeben. An einem diesbezüglichen Podiumsgespräch mit dem Rektor und Lehrenden war ich selbst dabei. Im WS 2023 startete die erste Ringvorlesung zum Thema „Klimawandelbildung“.

„Erde brennt Salzburg“  beteiligt sich aber auch an anderen Klimaprotesten. Mitglieder waren im Jänner dieses Jahres auch im Protestcamp Lützerath, mit dem gegen einen geplanten Braunkohleabbau protestiert wurde, beim internationalen Kongress „End Fossil“ im Februar sowie bei Protesten gegen eine internationale Gaskonferenz in Wien im März dabei. Das Ziel der Gruppe ist klar: Sofort raus aus den fossilen Energieträgern.

Beide Bewegungen – Fridays for Future und Erde brennt – zeichnet aus, dass sie ganz konkrete Forderungen an die Politik richten und von dieser Lösungen einfordern, von den Regierungen von Stadt und Land Salzburg sowie von der Bundesregierung. Gemeinsam mit dem Klimavolksbegehren und dem Klimarat wird etwa ein neues Klimaschutzgesetz gefordert, das Treibhausgas-Einsparziele konkret festlegt und mit Sanktionen bei Nichterreichen belegt – Strafzahlungen werden übrigens seitens der EU ohnedies auf Österreich und damit auch auf Salzburg zukommen. Entscheiden wir das der Europäische Gerichtshof. Das Einsparziel von minus 48 Prozent gegenüber 2005 wird bislang weitverfehlt, wenn die Klimamaßnahmen nicht an Tempo zulegen. 2021 lag Salzburg laut Umweltbundesamt erst bei minus 12 Prozent!

Beide Bewegungen verbinden eine wirksame Klimapolitik auch mit sozialen Anliegen – leistbares Wohnen, ein günstiger öffentlicher Verkehr sowie die Begrenzung der Vermögenden als größte Klimaschädiger zählen dazu. (Laut der Entwicklungsorganisation Oxfam verursacht das reichste Prozent der Weltbevölkerung so viele klimaschädliche Treibhausgase wie die fünf Milliarden Menschen, die die ärmeren zwei Drittel ausmachen.) Und sie betonen, dass Klimaschutz im Grunde Menschenschutz ist, denn der Planet bleibt bestehen auch bei einem um vieles heißeren Klima. Es geht um das Leben auf dem Planeten. Betont wird daher auch der Aspekt der Klimagerechtigkeit mit den Ländern des Südens – die dramatischsten Folgen spüren bereits jetzt jene, die nicht oder kaum Treibhausgase verursachen, schlicht und einfach, weil ihnen der Wohlstand dazu fehlt. Zudem gibt es den Status von Klimaflüchtlingen im internationalen Völkerrecht derzeit leider noch immer nicht.

Beide Bewegungen sind basisdemokratisch organisiert – wer bei einer Demo oder gegenüber den Medien spricht, wird bei den regelmäßigen Treffen ausgemacht. Ich erfuhr das selbst, als ich einmal für ein Podiumsgespräch angefragt habe. „Das wird in der Gruppe besprochen“, war die Antwort.

Das Politische beider Bewegungen zeigt sich darin, dass auf die Schutzfunktion der Staaten hingewiesen wird. Diese müssten den Konzernen und uns als Bürger:innen die Regeln so setzen, dass wir von den Treibhausgasen runterkommen. Nicht von ungefähr gibt es mittlerweile über 2000 Klimaklagen, einige davon waren bereits sehr erfolgreich wie ein Urteil des Deutschen Verfassungsgerichtshof, das der deutschen Bundesregierung mehr Anstrengungen im Klimaschutz abverlangt. Artikel 2 der Europäischen Menschrechtskonvention definiert das Recht auf Leben als Grundrecht, dazu gehört ein Klima- und Ökosystem, das ein wirtliches Leben für alle Menschen ermöglicht. Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind mehrere Klimaklagen anhängig. Urteile sind demnächst zu erwarten. Die Aussichten, dass die Klimakrise als menschenrechtsrelevant eingestuft wird, sind gut.

Die Verantwortung darf nicht an die Jungen delegiert werden, darum ist es gut, dass die Klimabewegungen die Verantwortung derer einfordern, die die entsprechenden Entscheidungen treffen müssen. Im Sinne der Selbstwirksamkeit tut es auch der Psyche gut, wenn junge Menschen ihre Zukunftsangst und ihre Wut lautstark in Demonstrationen ausdrücken. Vereinfacht gesagt: Protestieren ist gesund!

Kurz um: Klimaschutz ist Menschenschutz. Die Klimabewegung ist somit eine Menschenrechtsbewegung. Es ist daher sehr passend, wenn die Plattform für Menschenrechte Fridays for Future und Erde brennt mit der Salzburger Rose der Menschenrechte auszeichnet – herzliche Gratulation!


[1] Zit. n. Gerhard Schwischei in Salzburger Nachrichten 25.11.2023 sowie https://www.vdi-nachrichten.com/technik/energie/iea-sieht-gasschwemme-ab-2025-fallen-die-preise/

[2] Zit. n Der Standard, 10.12.2023; https://www.derstandard.at/story/3000000198928/abbau-von-pendlerpauschale-und-dieselprivileg-oesterreich-schliesst-sich-initiative-an-die-fossile-subventionen-stoppen-will